DIE CASANOVA TOUR
von Pablo Günther

( InhaltTeil IV:
REISEWAGEN (Teil III - VIII ) - Vierrädrige Wagen - Früher offener Reisewagen - Chaise, Phaeton, Kalesche - Karosse, Karossen-Coupé - Landauer - Viersitzige geschlossene Berline, Berlinen-Coupé; Berlinen-Kalesche, Berlinen-Phaeton, Berlinen-Chaise - Englische Reise-"Coach", Englisches Coupé - Deutscher Reisewagen - Postwagen und Postkutschen - Stahlfedern  .  (Teil V: Das Englische Coupé oder Post Chariot)

Vierrädrige Wagen.
Früher offener Reisewagen.
Matthaeus Merian (1593 - 1650) zeigt auf einigen seiner Stadtansichten Reisewagen. Hier ein offener, der praktisch mit dem Ungarischen "Koczi" - Wagen identisch ist, der im 15. Jhdt. auftauchte und mit dem vermutlich das allgemeine Wagenfahren begann. Dieser einfache, vielseitig verwendbare und preiswerte Wagentyp wurde auch noch in den folgenden Jahrhunderten zum Reisen benutzt - Foto: PG.


Chaise, Phaeton, Kalesche.
Chaise: zweisitzig, minimaler Wagenkasten, mit oder ohne Verdeck, wie bei den zweirädrigen Chaisen.
Phaeton: Kasten offen oder mit Halbverdeck, besonders hoch angebracht. Meistens zum Selbstfahren.
Kalesche: zwei bis viersitzig, durchgehender Kasten mit oder ohne Türen, stets mit Halbverdeck.
Diese Chaise mit Berlinen-Fahrgestell und -Aufhängung zeigt die enge Verwandtschaft zu den zweirädrigen Chaisen. Interessant auch das Größenverhältnis zwischen Pferd und Wagen: Zug- und gewöhnliche Reit- oder Postpferde waren damals erheblich kleiner als unsere heutigen Sport- und Wagenpferde es normalerweise sind (dieses Phänomen wird auch durch alle anderen Abbildungen mit Pferden in diesem Buch dokumentiert). - Miniatur-Modell, vermutlich aus Norditalien, um 1730. Von mir erworben, dann an das Württembergische Landesmuseum verkauft, in dessen Wagenmuseum in Heidenheim an der Brenz es seit Mai 1998 ausgestellt ist. Foto: PG.
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Dieser Wagen - ich datiere ihn mit 1740 - gehört dem Wollaton Park Industrial Museum in Nottingham. Dort wird er "English Post Phaeton" genannt. Er wurde entworfen und gebaut für die Baskerville - Familie in Clyro / Powys, und ist heute vermutlich die älteste erhaltene vierrädrige Chaise, Kalesche, Phaeton, oder sogar "Berline". Der freundliche Angestellte ermöglichte mir, das sonst geschlossene Wageninnere mit der Sitzbank zu fotografieren. Die zwei Langbäume (Berlinen - Fahrgestell) sind gerade, der Kasten liegt auf Lederriemen (Berlinen - Aufhängung - Variante), die hinten an einer Gestellbrücke befestigt sind: ich würde daher das Fahrzeug auch "Berlinen - Chaise" oder " - Phaeton" nennen. Das Verdeck kann zurückgeklappt und der Fahrersitz entfernt werden. - Foto: PG. - - - Rechts ein "richtiger" Phaeton, wie er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Mode kam, also mit leichtem und sehr hoch gehängtem Kasten. Zwei Schwanenhals - Langbäume, vier F-Federn. - Zeichnung eines unbekannten Künstlers, datiert 1760. Victoria and Albert Museum, London. Foto: PG.
Obwohl die hier gezeigte Berlinen-Chaise schon um 1750 gemalt wurde, konnte Casanovas altmodischer Reisewagen "Innsbruck" durchaus so ausgesehen haben (vgl. "Casanovas Wagen"). Zwei flache Langbäume, keine Aufhängung des Kastens. - "Die Hauptwache in Frankfurt am Main", von Christian Georg Schütz (Ausschnitt). Foto vom Original im Historischen Museum von Frankfurt: PG.
Eine viersitzige Berlinen - Kalesche mit einem Klappverdeck im Blasebalg - Stil, Kasten auf flach gespannten Lederriemen, keine Türen. Wagen wie dieser, durch Bellotto mehrfach belegt, könnten auch von deutschen Reisenden benutzt worden sein, wie z.B. vom Prinzen von Braunschweig zusammen mit Lessing, als sie 1775 von Wien nach Rom fuhren. - Bernardo Bellotto, Schloß Schloßhof (bei Wien) von Norden (Ausschnitt), um 1760. Foto: Kunsthistorisches Museum, Wien, Nr. II 17418.
Die älteste Kalesche im neueren Stil und mit Türen, die ich kenne. Erneut ein Berlinen-Fahrgestell, hier jedoch mit Schwanenhälsen und Stahlfedern, hinten à la Polignac, vorne F-förmig. Kasten zweisitzig, evtl. mit 2 Notsitzen, über denen hier der Kutscher sitzt; Verdeck zurückgeklappt. Über dem Drehkranz ein Behälter, auf dem ein Hund Platz genommen hat. - Detail eines Gemäldes von Jacques Ph. J. de Saint-Quentin, Paris 1775; Musée des Beaux Arts in Besancon. Foto: PG.
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Um 1795 kam dann die nächste Generation von Kaleschen. Der flache, schiffförmige Kasten hatte ein Klappverdeck und konnte noch durch eine Windschutzscheibe und ein ledernes Dach weiter geschlossen werden. Fahrgestell mit einem Langbaum (englischer Stil) und, zum ersten Mal, C-Federn. - Links die sogenannte "Syrgenstein - Kalesche" aus meinem Wohnort Hergensweiler im Westallgäu. - Graf Waldstein in Dux / Böhmen konnte eine Kalesche dieser Art gehabt und Casanova für seine drei letzten Reisen 1795 - 1797 zur Verfügung gestellt haben.  Foto: PG. - - - Rechts: Reisewagen von Johann Wolfgang von Goethe, 1810 in Carlsbad gekauft, und immer noch in seinem Haus in Weimar. Foto: PG.
Exakt dieser Wagentyp kommt hier als:
Kalesche im Reisebetrieb: 4 Postpferde mit reitendem Postillon; "Vache" (Rindslederbehälter) auf dem Verdeck, Koffer hinten befestigt; mitreisende Person auf dem Bock.  Berlin 1828, Neue Wache und Zeughaus. Gemälde von Wilhelm Brücke. -  Photo: Archiv Burg Hohenzollern, Hechingen.
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Die Militär - Kalesche "de service leger" von Napoleon I., vom (englischen?) Wagenbauer Getting in Paris gebaut, in Gebrauch während der Feldzüge 1805 und nach der Schlacht bei Austerlitz zeitweise verloren gegangen. Das Klappverdeck fehlt. Einbäumig, C-Federn mit umlaufenden Lederriemen. - Foto: Kunsthistorisches Museum, Wien.


Karosse, Karossen - Coupé.
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Vermutlich wurde die Karosse in Italien entwickelt, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Montaigne unterscheidet 1580 zwischen "cocchio", Kutsche, und "carrozza"). Die Neuheit bestand darin, den Kasten zwischen vier Kipfen aufzuhängen. Das Fahrgestell hatte - wie zuvor - einen Langbaum. Links Ausschnitt einer Zeichnung von Antonio Canal, um 1725. - Foto PG. - - - Ein weiteres Beispiel einer viersitzigen Stadt- und Reisekarosse. Ausschnitt eines Gemäldes von Giovanni Battista Tiepolo (1696-1770), oder seiner Schule, in Orazio Bagnascos Palazzo in Venedig (Ca' Contarini). Um 1740. Foto: PG.
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Kunst und Wirklichkeit in verblüffender Übereinstimmung: Karossen - Kästen, jedoch auf Berlinen - Fahrgestellen (mit zwei Langbäumen also). Links: Rom, um 1710 (Foto: PG). --- Rechts: Spanien, ebenfalls um 1710 (Foto: Sammlung Heinz Scheidel).
Das älteste überlebende Kaross - Coupé ist vielleicht dieser schwere Wagen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Er wurde von Holland nach Java exportiert. Langbaum mit Schwanenhälsen; sehr kleine Vorderräder: ein typisches Stadtcoupé. - Foto: Achse, Rad und Wagen, Nr. 1, 1991.


Landauer.
Landauer gab es in England und Italien; Casanova mietete sich einen für den Karneval in Rom 1761. In Frankreich und Deutschland kamen diese praktischen, aber sehr teuren viersitzigen, von geschlossenen in offene "umwandelbare" (konvertible) Kutschen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Das Foto zeigt den ältesten noch vorhandenen Landauer; er gehörte der Familie der Baskerville (wie das "Post Phaeton" oben) und wurde um 1730 gebaut. Fahrgestell und Aufhängung sind nach Art der Karossen. - Wollaton Park Industrial Museum, Nottingham. Dort wird der Landauer "English State Carriage" genannt. Foto: PG.
Der ungefederte Vorläufer des Landauers, hier als Reisewagen. Konvertibel durch die zwei "Blasebalg" - Verdecke. - Stich (Ausschnitt) von Matthaeus Merian (1593 - 1650). Foto: PG.


Viersitzige geschlossene Berline, Berlinen-Coupé;
Berlinen-Kalesche, Berlinen-Phaeton, Berlinen-Chaise (Abbildungen oben).
    Die typischen Merkmale der Berline betreffen nicht die verschiedenartigsten Wagenkästen, sondern das Fahrgestell: dieses hatte erstmals zwei Langbäume, und in der Regel eine neue Art der Aufhängung mittels flach gespannter Lederriemen. Die ersten Fahrzeuge dieser Art waren zumeist Reisewagen. Das älteste bekannte Bild eines Wagens mit so einem Fahrgestell stellt eine "Calèche" aus Paris dar und stammt von Christian Huygens aus dem Jahre 1667(Wackernagel, in: Treue,S.224, mit Abb.).
    Auch eine Definition in Bailey's Dictionary, London 1730, weist auf die Verwendung als Reisewagen hin (Goodwin,S.i):
"eine Art travelling carriage, chair, chariot &c., wie er in Berlin in Preußen in Gebrauch ist."
    Wie kam es zur Bezeichnung Berline? 1769 behauptet der Berliner Verleger Friedrich Nicolai, daß hundert Jahre zuvor (genauer: zwischen 1661 und 1663 (Kugler, in: Treue,S.238)) ein in Berlin "gemachter" (nicht "erfundener"!) Reisewagen in Paris soviel Beifall gefunden hatte, daß dort solche Wägen vielfach nachgebaut und seitdem "Berlines" genannt wurden. Tatasächlich taucht dann der Name 1699 erstmals in Paris auf, und kann bereits für die darauffolgenden Jahre vor allem im Zusammenhang mit dieser Stadt mehrfach nachgewiesen werden (Kugler, in: Treue,S.238f.); die Besitzer waren von hohem Rang (sonst gäbe es diese Quellen nicht) und verwendeten ihre Berlinen (auch) zum Reisen. Die weitere Entwicklung der Berline, insbesondere zum Galawagen, fand ebenfalls zunächst in Paris statt.
    Es bleibt aber noch die Frage zu klären, was der ursprüngliche Grund dafür war, daß man zur Konstruktion dieser neuartigen Fahrgestelle überging. Joachim Christoph Nemeitz weist 1726 darauf hin, daß an den Grenzen zu Deutschland zweirädrige italienische Chaisen mit einem Vordergestell (d.h.: Vorder-Radachsen-Gestell, mit einer Deichsel) versehen wurden. Den Grund dafür finden wir bei dem mit einer Chaise aus Holland kommenden Casanova(GmL,Bd.X,S.47): " (...) die [deutschen] Postpferde waren nicht gewohnt, in einer Gabeldeichsel zu gehen" (tatsächlich habe ich nie Abbildungen von zweirädrigen Reisewagen in Deutschland gefunden).
    Demnach waren also die zwei Langbäume der Berline nichts anderes als die Gabeldeichsel einer zweirädrigen Chaise, die auf ein Vordergestell gesetzt wurde - ein Umstand, der von der Forschung sicher schon vermutet wurde, aber meines Wissens noch nicht belegt werden konnte. Aus der Praxis internationalen Reisens mag sich dann vielerorts in Deutschland (und in anderen Ländern, wie vor allem in Italien?) ein Provisorium zu einer dauerhaften Einrichtung entwickelt haben. Daß man dann auf den Wagen eines Berliners in Paris aufmerksam wurde, kann Zufall gewesen sein.
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Linkes Bild: Mit einem Vordergestell würde diese italienische Chaise oder Sedia (bei Neapel, um 1770) ein schönes Berlinen-Coupé abgeben. - Aus: Hibbert, The Grand Tour, London 1974. Foto: PG. - - - Rechtes Bild: Clemens August, Fürstbischof von Köln (Casanova traf ihn 1760), sitzt in einer einfachen Berline. Die Langbäume sind gerade, wie bei zweirädrigen Chaisen, ohne Schwanenhälse oder vorn hochgezogene Bäume, wie es bei besseren Berlinen üblich war. - Teil eines Freskos von Francois Rousseau im Schloß Augustusburg in Brühl bei Bonn, 1763. Foto: PG.
Daß schon die Kästen früher Berlinen nicht unbedingt auf flach gespannte Lederriemen gesetzt sein mußten, sondern auch nach Karossenart zwischen vier Kipfen (später Federn) gehängt werden konnten, zeigt dieser 1727 in Schloß Weikersheim gemalte Wagen mit zwei Langbäumen, an denen Schwanenhälse angebracht sind. Er macht auch deutlich, daß Berlinen des 18. Jahrhunderts letztendlich nur durch die zwei Langbäume definiert werden sollten, nicht aber noch zusätzlich durch die Kastenlagerung bzw. Federung. - Foto: PG.
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Ein Berlinen-Coupé im französisch-kontinentalen Stil; Bernardo Bellotto (1720-1780) malte davon viele auf seinen berühmten Veduten europäischer Städte; hier "Die Freyung" in Wien, um 1760; Ausschnitt. - Foto: PG. - - - Rechts: Dito in natura, jedoch ohne Kutscherbock, Museu Nacional Dos Coches, Lissabon. - Foto: Mario Soares, Instituto Portugues do Patrimonio Cultural. Dank an Helmut Watzlawick für diese Ansichtskarte aus Lissabon (Mai 2005).
Ein französisches Berlinen-Coupé als Stadt- und Reisewagen (diligence) aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Unterschied zum englischen Stil (s.u.) ist enorm: Das Fahrgestell mit den hochgezogenen Bäumen über den sehr kleinen Vorderrädern, sowie der stark verzierte Kasten mit den altmodischen Federn darunter und dahinter waren typisch französisch und in England so schon lange (seit etwa 1750) nicht mehr in Mode. - "Diligence à Cul de Singe", Encyclopédie, Paris 1769. Foto: PG.


Englische Reise - "Coach", Englisches Coupé.
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Reisewagen der Grafen Harrach, gebaut von der Wiener Hofsattlerei um 1770. Eine typische englische Berlin-Coach im neuen Stil der Jahrhundertmitte. Klare Linien, glatte Flächen, zwei Frontfenster, Langbäume mit Schwanenhälsen, S-Federn, hohe Vorderräder, Holzjalousien vor den Türfenstern wie bei der Lister Chaise. - Foto links: Marco Leeflang. Foto rechts, aus: Georg J. Kugler, Die Wagenburg in Schönbrunn, Graz 1977.
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Schweden, um 1790: Reise/Stadtwagen mit Berlinen-Fahrgestell, ähnlich dem Wagen zuvor (Foto: Livrustkammaren, Strömsholm). --- Rechts: Deutschland, um 1790: Reisewagen mit einem Langbaum und C-Federn (Foto: Bentheim-Tecklenburg).
Simplon-Pass, um 1800: Englischer Reisewagen, gezogen von Maulpferden (Foto: PG).
Ein elegantes Englisches Coupé mit Vierergespann, Casanovas bevorzugte Equipage, fährt hier in Amsterdam. Fahrgestell: einzelner Langbaum mit Schwanenhälsen. - Aquarell von Hubertus Petrus Schouten, um 1770 (Ausschnitt). Aus: Burgess, The Age of the Grand Tour, London 1967. Foto: PG.
Zu den Englischen Coupés: ausführliche Beschreibung in Teil V.


Deutscher Reisewagen.
"Riedenauersche Landkutsche", Kitzingen, Bayern, 1801. Dieser Wagen entspricht weitgehend dem für Friedrich Nicolai 1781 gebauten "Wiener Wagen". - Aus: Helmut Thiel, Vor der Eisenbahn - die Postkutsche, Nürnberg 1985.
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    Die führende Position des englischen, französischen und italienischen Wagenbaus kann kaum besser als durch die Geschichte von Nicolais Reisewagen verdeutlicht werden. 1781, drei Jahrzehnte nachdem Casanova das erste seiner modernen Englischen Reisecoupés gekauft hatte, machte sich der bekannte Berliner Buchhändler und Verleger Friedrich Nicolai (1733 - 1811) auf eine große Reise durch Deutschland und die Schweiz auf. Statt sich einen guten englischen Gebrauchtwagen für maximal umgerechnet 40.000 Baiocchi zu kaufen, wollte er sparen und bestellte bei einem Berliner Wagner einen neuen für 70 Dukaten, das sind nur 8.400 Pence. In offensichtlicher Unkenntnis modernen und eleganten Kutschenbaus jenseits deutscher Grenzen preist er seinen Wagen in den höchsten Tönen. Dieser war sicher recht brauchbar, aber, um einen Vergleich von heute (besser: vorgestern) zu bemühen, eher in der Art eines VW-Kübelwagens als einer Mercedes-Limousine.
    Hier nun einige Auszüge aus seinem Reiseführer (Bd.I,S.6ff.), der für die Kutschen- und Reiseforschung sehr wertvoll ist (Fettdruck ist von mir).
    Eingangs stellt Nicolai fest: "Auf einer großen Reise ist ein bequemer Reisewagen, was im menschlichen Leben eine bequeme Wohnung ist." Eine weitere "Haupt-eigenschaft" sei aber, "daß er sich bequem fortbringen lasse". Das sei nicht der Fall bei "ganz bedeckten Kutschen", wegen des Gewichts, und vor allem dann nicht, wenn es sich um Berlinen mit den kleinen Vorderrädern handele. Dennoch "werden in vielen solchen Wagen sehr große Reisen gethan." Sie benötigten nie weniger als vier Postpferde, und oft reichten acht nicht aus, um sie "im Sande fortzubringen, oder an steilen Anhöhen hinanzuschleppen". "Viel Kosten, und was noch schlimmer ist (sic!), viel Zeitverlust" seien die Folgen.
    "Es ist daher an einem Reisewagen hauptsächlich nöthig: daß das Gestell zwar dauerhaft, aber leicht sey, daß die Vorderräder hoch, und die Länge des Wagens von gutem Verhältnis sey. Diese Eigenschaften lassen sich, ohne sehr beträchtliche Kosten, bey keiner andern Art von Wagen vereinigen, als bey der Art von halbbedeckten Wagen, die man in hiesiger Gegend Wiener Wagen nennet."
    Dieser Wagen hatte einen starken, eisenbeschlagenen Langbaum aus Birkenholz, was "besser als die gewöhnlichen zwey Bäume" war. "Der Kasten ruht auf der Vorderaxe, und hinten hängt er in Riemen." Er konnte mit Hilfe vier eiserner Stangen geschlossen werden, und mit "ledernen Mänteln, die durch vier kleine Scheiben Licht einlassen." Drinnen waren zwei geräumige Kisten für Gepäck, die auch vier Personen zum Sitzen dienten. Zur Ausrüstung gehörte eine Winde, ein Beil und eine Hemmkette. Die Räder konnten, je nach Landesbrauch, für drei verschiedene Spuren eingestellt werden.
    Der Wagen war so leicht, daß die Posthalter ihn "ohne Widerrede mit zwey Pferden" abfahren ließen (Vorschrift waren mindestens vier Pferde bei vierrädrigen Wagen). "Bey einem nicht so vollkommen gut gebauten Wagen hätte ich drey Pferde nehmen müssen; und daher kann ich rechnen, daß mir dieser Wagen allein auf dieser Reise die Bezahlung Eines Pferdes auf etwa 400 Meilen, und folglich mehr als die Hälfte der Summe gespart hat, die er neu gekostet hatte."
    Casanova kaufte solche Wagen nur in Notfällen, wie einmal in der Schweiz, und es verdient doch festgehalten zu werden, daß er sich gute gebrauchte Reisecoupés auch in Wesel und Warschau zulegen konnte, es sie also auch in Berlin gegeben haben mußte.

Postwagen und Postkutschen.
Die bekannte Posthaus-Szene mit einer frühen Englischen Stage Coach, gemalt (1730) und gestochen (1747) von William Hogarth. - Nach einer deutschen Ausgabe von Hogarths Stichen, um 1820. Sammlung Bernd Eggersglüß. Foto: PG.
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    Nach den Informationen, die mir Thomas Ryder, der frühere Herausgeber von The Carriage Journal, New York, zukommen ließ, wurde 1657 mit der "London and Chester Stage" die Personenbeförderung in der Postkutsche in England eingeführt [Harper, Chronological Summary]. 1662 soll es dann sechs Postkutschen gegeben haben. 1681 zählte man schon 119. Aber erst 1734 kann die Methode des Pferdewechsels nachgewiesen werden; im gleichen Jahr wurde ein schneller Service angekündigt: Von Edinburgh nach London in 9 Tagen. 1742: London - Oxford in 2 Tagen. 1754 wurden erstmals Wagenfedern erwähnt: die "Edinburgh Stage". Schließlich, 1784, wurde die "mail-coach" eingeführt; das bedeutete, daß nun auch Briefe mit bestimmten Postkutschen, die schneller waren als die reitenden "postboys", transportiert wurden.
    Am Donnerstag, den 27. April 1727, brachte die "Daily Post" folgendes Inserat (collection Gillian Rees) :
NEWBERRY FLYING STAGE COACH IN ONE DAY
Sets out from the White Horse Inn
in Fleet Street, at 4 o'clock in the morning, to the Bear Inn in Maidenhead to dine, every Monday, Wednesday and Friday, from thence to the White Heart Inn in Newberry*, and returns from thence Tuesday, Thursdays and Saturdays. Each passenger to carry fourteen pounds weight and to pay Nine Shillings** a-piece full pay, and to all other places on that route at proportionable rates.
Performed, if God permit, by John Baker, Edward Gregory and James Hall.
N.B. The coach carries only four passengers.
[* London - Newberry ca. 100 km. ** 108 d.; 1,08 d. pro km.]
    Auf dem Kontinent scheint Italien, das Mutterland der Post, eine Vorreiterrolle bei der Einführung von Postkutschen gespielt zu haben. Der römische Kurier und spätere Postmeister von Castelnuovo di Porto (bei Rom), Giuseppe Miselli (1637 - 1695), veröffentlichte 1682 seinen europäischen Reise- und Postführer "Il Burattino Veridico" (vielen Dank an Furio Luccichenti, der Misellis Autobiograhie herausgab). Das Kapitel über die Preise für Pferde, Tragstühle, Karossen und Kaleschen (S.218ff.) informiert uns auch über Postkutschen-Linien in Europa (nicht in England) und ihre Wagentypen:
    In Italien verkehrten um 1680 "Kaleschen", "Kutschen" oder "Karossen" zwischen Neapel, Rom, Florenz, Bologna und Mailand; zwischen Florenz, Pisa und Livorno; sowie zwischen Mestre und Treviso. Tragstühle bzw. Sänften waren überall zu bekommen, "aber", stellt Miselli fest, "diese sind nicht mehr so üblich, nachdem die Kaleschen aufkommen".
    In Frankreich wurde zwischen Paris und Lyon die erste Postkutschenlinie eingerichtet, und zwar in zwei "Klassen":
1. die "Landkutsche", für 5 Doublonen [1.125 d.]; und
2. die "Diligence de Lyon", von Miselli "geschwinde Post" genannt, "eine Karosse mit 6 Pferden, welche einen in 5 Tagen nach Paris bringt", für 6 Doublonen [1.350 d.].
    In Holland fuhr eine "Carrette" von Utrecht nach Nimegen, in einem Tag.
    In Spanien verbanden eine "Karosse mit 6 Mauleseln" Barcelona mit Madrid (Fahrzeit 14 - 15 Tage), und auch Tragstühle (nur 13 Tage).
    In anderen Ländern wie Deutschland, Ungarn und der Schweiz gab es "nur Postpferde", mit Ausnahme Polens; hier mußte der Corriere Miselli von der Grenze bis Warschau reisen, indem er Wagen in jeder Stadt wechselte.  Wir wissen aber, daß in Deutschland schon um 1670 die erste Postwagenlinie zwischen Nürnberg und Hamburg eröffnet wurde.
Privater Reisewagen oder ein früher Deutscher Postwagen. Drei Passagiere, mit Postillon. Um 1680. - Deutsches Postmuseum, Frankfurt a.M. Foto: PG.
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    Was die Fahrzeuge betrifft, so waren die Kalesche und die Carrette wohl zweirädrige und offene oder halboffene einfache Chaisen, wie die alte italienische Sedia.
    Vierrädrig waren die Land- oder Postwägen, sowie die als Eilwagen eingesetzte Karosse, wobei nur diese stets geschlossen, und außerdem ihr Wagenkasten an vier Kipfen aufgehängt, also "abgefedert" war, insofern also eine "richtige" Kutsche. So viel ich weiß, finden wir die ältesten Darstellungen dieser Postkutschen auf einem Gemälde von Hogarth (1730, siehe oben) und in der Encyclopédie, die "Diligence de Lyon" (Paris, 1769, siehe unten).
    Komfortable Postkutschen und Eilwagen waren aber erst vom Beginn des 19. Jahrhunderts an allgemein verbreitet, als der Kunststraßenbau endlich überall vorangetrieben wurde. Bis dahin mußten sich noch die Passagiere vor allem in Norddeutschland und ganz besonders in Preußen mit ungefederten und offenen Postwägen begnügen (nächstes Bild); einige richtige Postkutschen dagegen gab es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immerhin auch schon in süddeutschen Ländern (übernächstes Bild).
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Komfortabler und primitiver Personentransport zu gleicher Zeit. Links: Die einzige gute Abbildung einer deutschen Postkutsche, also mit einem geschlossenen Wagenkasten, aus dem 18. Jahrhundert, die ich bisher gefunden habe. Auffallend sind die großen Gepäckbehälter über Hinter- und Vorderachse. Dem recht eleganten, also eher leichten Wagenkasten entsprechen die nur vier vorgespannten Pferde. Wie überall sitzt der Postillon auf einem der linken Pferde. - Detail eines mit etwa 1780 datierten und Christian Georg Schütz zugeschriebenen Ölgemäldes, das eine süddeutsche Stadt mit Fluß und Bergen darstellt. Auktionshaus Zeller in Lindau/Bodensee. Foto: PG. - - - Rechts: Modell eines preußischen Postwagens, in dieser Art noch in Gebrauch bis in das erste Viertel des 19. Jahrhunderts. - Foto: Deutsches Postmuseum, Frankfurt a.M.
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    Es versteht sich fast von selbst, daß ein Vielreisender wie Casanova die berühmteste Postkutsche seiner Zeit und der Grand Tour nicht nur benutzt, sondern auch ausführlich beschrieben hat. Über seine Fahrt mit der Diligence de Lyon berichtet er aus dem Jahr 1750 (GmL,3/VII/S.152ff.):
    "Wir nahmen zwei Plätze in dem Eilwagen, der in fünf Tagen in Paris sein sollte. Balletti teilte seiner Familie den Zeitpunkt seiner Abreise mit, und so wußte man die Stunde unserer Ankunft.
    Wir waren zu acht in diesem Wagen, den man "Diligence" nennt. Alle saßen, aber recht unbequem, denn das Innere hatte eine ovale Form; niemand hatte einen Eckplatz, weil es keine Ecken gab. Ich fand das schlecht ausgedacht, aber ich sagte nichts, denn als Italiener mußte ich alles, was es in Frankreich gab, großartig finden. Ein ovaler Wagen! Ich achtete die Mode und verfluchte sie, denn bei der ungewöhnlichen Bewegung dieses Wagens wurde mir schrecklich übel; er war zu gut gefedert. Das Rütteln hätte mir weniger ausgemacht. Bei dem scharfen Tempo auf der guten Straße schaukelte er, und man nannte ihn deshalb auch "Gondel"; aber eine richtige venezianische Gondel mit zwei Ruderern fährt ebenso schnell, und doch wird man dabei nicht seekrank, daß einem das Herz pocht. In meinem Kopf drehte sich alles. Die wiegende Bewegung, die mich nicht einmal allzusehr schüttelte, störte doch mein Wohlbefinden, und ich mußte alles von mir geben, was ich im Magen hatte. Man fand in mir einen schlechten Reisegefährten, aber man sagte es nicht."
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Bei der Betrachtung der Diligence de Lyon mit ihrer abenteuerlichen Federung glaubt man Casanova jedes Wort über sein gestörtes Wohlbefinden. - Rechts: Die ovale Variation des Wagenkastens, wie von Casanova beschrieben. - Roubo, Paris 1771. Fotos: PG.

Stahlfedern.
    Die besten Stahlfedern für Kutschen wurden in Frankreich gebaut, und besonders in England, dem führenden Land auf dem Gebiet der Eisen- und Stahlproduktion. Als Beispiele braucht man nur die Federn des Berlinen-Coupés in Compiègne (um 1775, Federn à la Polignac) zu betrachten, und die der "Lister Chaise", die immer noch in gutem Zustand sind. Englische Kutschenfedern dieser Qualität wurden offenbar ab 1740 hergestellt und waren die Basis für eine neue Generation von Fahrgestellen und Wagenkästen, womit leichtere, elegantere und schneller zu fahrende Wagen gemeint sind.
Die rechte Vorderfeder (sehr selten und daher ohne Bezeichnung) der Lister Chaise (etwa 1755). - Foto: PG.
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    Die verschiedenen Arten von Wagenfedern werden auch mit Großbuchstaben bezeichnet, Symbole für ihre spezielle Form. Die wichtigsten sind:
    1. Dalesme - Federn: Französische Krebs-, Unterwagen- und F - Federn; in Gebrauch vom Ende des 17. Jhdts. bis um 1750.
    2. F - Federn, auch "whip-springs" genannt: in Gebrauch von etwa 1740 bis um 1810.
    3. Polignac - Federn: eine Art C - Feder; in Gebrauch in Frankreich zwischen etwa 1740 und 1790.
    4. S - Federn: in Gebrauch von etwa 1760 bis um 1810.
    5. C - Federn: früheste Abbildung: ein Landauer von Webley, 1763; in Gebrauch von etwa 1795 bis 1850 bei Stadt- und Reisewagen, und an Gala- und anderen vornehmen Wägen für den Rest der Kutschenzeit, oft zusammen mit Horizontal- bzw. Elliptikfedern.
    6. Elliptikfedern: in England seit 1790 bekannt. 1805 erfand Obadiah Elliott aus Lambeth den Wagen ohne Langbaum, also die selbsttragende Karosserie, die nur in Verbindung mit Elliptikfedern eingesetzt werden kann (Treue,p.344).
Die hinteren F-Federn der Lister Chaise. - Foto: PG.

Fortsetzung:  Das Englische Coupé (Teil V).

Copyright by Pablo Günther, Hergensweiler 2002.

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