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VERGISS MICH, CASANOVA!

(Plot für einen Spielfilm)

Idee & Autor: Hartmut Pablo Günther

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[Info vom September 2019: Dr. Peter Becher hat die meiner Meinung nach tatsächliche Identität Henriettes in einem spannenden, gut bebilderten und auf von ihm erstmals recherchierten Quellen beruhenden Buches, interessant geschildert: Henriette - Casanovas große Liebe. Mehr in meiner Bibliographie. - Auch ich ging vor 20 Jahren von dieser Person, die damals Dr. Louis Jean André erstmals gefunden hatte, aus. Anzumerken wäre nur, daß das Wiedersehen 1963 nicht abseits im Chateau Valabre stattfand, sondern, einleuchtend nach Becher, etwas weiter an der gleichen Straße, wo der von Casanova wohl erfundene "Unfall" auch vorgetäuscht sein konnte.]
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Ausführlich - Kurz
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A. Vorspann:
Eine Tragödie. - Der uns als unwiderstehlicher Liebhaber und großer Libertin bekannte Casanova entpuppt sich als ein ganz normaler verliebter Mann, der sogar zur Heirat bereit wäre. Die Frau - er bezeichnete sie als die größte Liebe seines Lebens -, Henriette, hingegen übernimmt die Rolle, die wir von Casanova erwartet hätten, indem sie ihn nämlich beherrscht, ohne daß er es richtig merkt, und schließlich verläßt. Sie ist es, die eine entscheidende Grundlage der damals üblichen Liebeshändel gehobener Kreise im allgemeinen und der Libertinage im besonderen von ihm fordert: das Vergeßen. Dazu ist er aber nicht imstande, denn es entspricht nicht seiner Natur.
Hier liegt der Konflikt dieser Liebesgeschichte: Casanova, wenn er liebt, gibt er alles und vergißt seine Liebe nie mehr; Henriette dagegen kann auch ihre größten Liebesempfindungen jederzeit ihrem Verstand unterordnen, wenn ihr dies opportun erscheint. Dies kommt treffend auch durch die berechnend-raffinierte Art zum Ausdruck, wie sie sie sich langsam von ihm absetzt.
Die Handlung wird im Wesentlichen so geschildert, wie sie von Casanova überliefert und dramaturgisch gestaltet wurde, also originalgetreu. Auch werden immer wieder seine eigenen Worte bzw. Dialoge wiedergegeben.
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B. Personen:
(In der Reihenfolge des Auftritts.)
Henriette d'Arci. 23 Jahre. Adlige aus Aix-en-Provence. Schön, groß, intelligent, musikalisch,
    energisch, reich.
Giacomo Casanova. 24 Jahre. Abenteurer aus Venedig. Groß, ehemaliger Geistlicher, Doktor
    der Rechte, Literat, hat gerade viel Geld.
Henriette's Vater, Président d'Arci.
Henriette's Mutter, Madame d'Arci.
Marquis de X, Henriettes ungeliebter Ehemann.
Henriette's erstes Baby.
Henriette's Liebhaber.
Henriette's uneheliches Baby.
Monsieur d'Antoine, Trauzeuge. Später am Hof zu Parma.
Ein ungarischer Offizier.
Dubois-Chatellerault, verkehrt bei Hofe in Parma. Bucklig, geistreich.
Monsieur Dutillot, herzoglicher Minister.
Don Philipp, Herzog von Parma.
Louise Elisabeth, seine Frau.
Dame, die Henriette von Parma über Genf nach Frankreich begleitet.
Diener, aus Turin.
Tronchin, Bankier in Genf.
Zwei Diener, aus Genf.
Diener, aus Genf.
Marcolina, junge bildhübsche Venezianerin.
Gaetano Casanova, jüngster Bruder Giacomos, Geistlicher, vormaliger Freund Marcolinas.
La Crosin, Mädchen aus Marseille.
Passano, Miniaturenmaler.
Clairmont, Casanovas Diener.
Die Eltern von La Crosin.
Ehemann von La Crosin.
Zwei Diener in Henriettes Landhaus in Bouc-Bel-Air.
Drei Damen, ebendort.
Zwei Herren, ebendort.
Stellmacher (Wagner), ebendort.
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 C. Plot-Skizze:
Vorspiel.
Zwei Lebenswege steuern auf ihren Treffpunkt zu (simultane Schilderung).
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Venedig, 2. April 1725:
Casanova kommt auf die Welt. Taufe.
Aix-en-Provence, 14. Dezember 1725:
Henriette kommt auf die Welt. Taufe.
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Aix, 1737:
Henriette lernt im Kloster Cello spielen.
(gleichzeitig:) Padua, 1737:
Casanova's Immatrikulation an der Universität.
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Schloß des Markgrafen de Demandolx in La Palud bei Aix-en Provence, 24. Januar 1745:
Henriette heiratet gegen ihren Willen den Markgrafen. Einer der Trauzeugen ist Monsieur d'Antoine.
(gleichzeitig:) Rom, Spanische Botschaft, Januar 1745:
Casanova ist Sekretär beim Gesandten, dem Cardinal Aquaviva.
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Aix, Ende 1746:
Krieg. Henriette flieht vor österreichisch-ungarischenen Truppen mit ihrem Baby zu den Eltern nach Aix.
(gleichzeitig:) Venedig, Theater San Samuele, Ende 1746:
Casanova spielt Geige im Theaterorchester.
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Aix, Sommer 1748:
Henriette's Ehebruch mit einem ungarischen Offizier.
(gleichzeitig:) Dorf bei Venedig, Sommer 1748:
Casanova schneidet einer frisch begrabenen Leiche den Arm ab und legt diesen jemand nachts ins Bett.
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Ein Kloster bei Aix, Februar 1749:
Henriette wird von ihrem Mann und ihrem Vater in ein Kloster gesteckt. Sie bringt hier ein Kind von dem Ungarn zur Welt.
(gleichzeitig:) Mailand, Februar 1749:
Casanova duelliert sich.
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Das Kloster bei Aix. Auf einem Schiff. Oktober 1749:
Mit Hilfe des Offiziers, der ihr eine Uniform besorgt hat, flieht Henriette aus dem Kloster. Übers Mittelmeer fahren sie in Richtung Rom.
(gleichzeitig:) Mantua, Oktober 1749
Wird in der Hauptwache arrestiert, spielt mit dem Hauptmann Karten. Vernaschen dann zwei Freudenmädchen.
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Bei Loreto, Oktober 1749:
Im Wallfahrtsort Loreto (bei Ancona) hört Henriette, daß sich in Parma viele Franzosen aufhalten. Sie sagt dem ungarischen Offizier, er solle sie dahin bringen und dann nach Hause fahren.
(gleichzeitig:) Cesena, Oktober 1749:
Casanova steht im Hof eines Bauern im Gewitter und spielt das Herbeizaubern eines Schatzes.

1. Akt.
Cesena (Stadt bei Bologna, im Kirchenstaat), im Gasthaus zur Post, und in der Stadt. Oktober 1749.
Früh morgens. C wird durch Lärm und Gepolter geweckt. Geht auf den Flur, sieht Polizisten und den Wirt vor der Tür nebendran. Der Wirt will einen ungarischen Offizier verhaften lassen, weil er offensichtlich mit einer Frau, mit der er nicht verheiratet ist, im selben Zimmer geschlafen hat (im Kirchenstaat verboten). C mischt sich ein, darf dem Offizier helfen, rennt in die Stadt zu einflußreichen Personen. Kommt zurück, sieht im Zimmer des Offiziers dessen Begleiterin: Henriette, mit einer Phantasieuniform als Mann verkleidet. C verliebt sich sofort. Dann regelt er die Sache und verschafft dem Offizier volle Genugtuung.
C beschließt, die beiden nach Parma zu begleiten. Zu diesem Zweck kauft er einen teuren Reisewagen, um sie zur Mitfahrt einladen zu können.
Bologna, Gasthaus zur Post.
In Bologna erfährt C von dem Offizier, warum er mit Henriette nach Italien kam.
H bittet den Offizier, sie allein zu lassen, vollständig zu vergeßen und sie nicht anzusprechen, falls sie sich noch einmal begegnen sollten.
C erhält vom Offizier die Einwilligung, ihm H abzutreten.
C erklärt H stürmisch seine Liebe und stellt sie vor die Wahl: entweder er darf sie nach Parma begleiten (was er aber nur tun wird, wenn sie ihm ihre Gunst schenkt), oder er reist sofort nach Neapel ab. H willigt ein. C's Ungeduld verschwindet sofort, er versichert sie, von ihr nie etwas zu verlangen, was sie nicht auch möchte.
Der Offizier reist ab. C und H schlafen zum ersten Mal zusammen.
Parma. Im Hotel und in der Stadt.
In der Stadt sind viele Franzosen, weil der Großherzog gerade eine Tochter des Königs von Frankreich, Ludwig XV, geheiratet hatte.
Henriette hofft im Stillen, hier eine Person zu finden, über die sie wieder Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen kann. Zu C wird sie aber sagen, daß sie fürchtet, erkannt zu werden, und sich deshalb nicht in der Öffentlichkeit, und erst recht nicht in höfischen Kreisen, zeigen möchte. C wird dies als Ausdruck ihrer Liebe erfreut vernehmen.
C und H beziehen eine Suite im Hotel.
C kauft alles mögliche Tuch für H und bestellt Näherinnen, damit sie sich endlich wieder als Frau kleiden kann. H freut sich darüber.
Sie erzählt andeutungsweise, wie sie nach Italien kam.
Als das erste Kleid fertig ist, bittet sie C, auszugehen, um bei ihrer Verwandlung in eine Dame nicht anwesend zu sein.
Er geht in eine Buchhandlung und lernt einen Herrn des Hofes kennen,
Dubois-Chatellerault. Er wird alsbald zu der Person, die Henriettes Heimkehr nach Aix in die Wege leitet.
Zurück im Hotel, ist C überwältigt von H's Erscheinung als Dame.
Aber die Wiederherstellung ihrer Identität und ihres Ranges als Dame der Gesellschaft leitet bereits C's Niederlage ein.

2. Akt.
Parma. In der Oper.
C und H verbringen glückliche Tage und Wochen in scheinbar vollkommener Liebe. Sie sprechen auch von Heirat.
Er erfährt, daß Musik ihre große Leidenschaft ist. Er schlägt vor, die Oper zu besuchen. Ihr scheint das zu gefährlich zu sein; willigt aber ein unter der Bedingung, daß sie eine nicht allzu einsehbare Loge nähmen.
Bald kommt Dubois in ihre Loge. C zieht ihn hinaus, bestellt Bilder vom herzoglichen Paar.
Dubois bringt ihm die Bilder ins Hotel. Er ist neugierig auf die beiden, da sie kaum Besuche empfangen und auch nicht bei Hofe verkeheren. Macht nun häufiger Besuche.
C und H gehen weiter in die Oper, ohne aufzufallen.
Dubois lädt sie in sein Landhaus ein, wo er ein Konzert zu geben gedenkt. H lehnt dankend ab unter Hinweis auf ihre zarte Gesundheit. Dubois geht. C bittet sie, doch hinzugehen, sie gibt nach und sie fahren sofort los.
Bei Parma, in Dubois' Landhaus.
Die Gesellschaft besteht aus vornehmen Spaniern und Franzosen, die weltläufig den Mangel an Etikette ignorieren, der darin besteht, daß Dubois mit Rücksicht auf H niemanden einander vorstellt. H benimmt sich ganz ungezwungen.
Dann spielt das Orchester ein Cello Konzert. Anschließend begibt sich H zu dem Solisten, ergreift sein Instrument und bittet die Musiker darum, das Konzert noch einmal zu spielen.
C, der nicht wußte, daß sie Cello spielen kann, denkt zuerst an einen Scherz; als er merkt, daß es ernst wird, glaubt er, vor lauter Herzklopfen tot umfallen zu müßen. Schon nach dem ersten Satz tobt das Publikum vor Begeisterung über H's Spiel, und C's Angst verwandelt sich in ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Er, der sich aus Musik nicht viel macht, und für gewöhnlich nur in die Oper geht, um Tänzerinnen zu sehen und aufzureißen, ist plötzlich von der "menschlichen Stimme" des Cellos zutiefst ergriffen. H bringt das Stück zu Ende, macht dem Solisten ein Kompliment und entschuldigt sich bei den Leuten, daß sie das Konzert um eine halbe Stunde verlängert habe. Diese vornehm-zurückhaltende Antwort auf den Applaus bringt C endgültig aus der Fassung; er verschwindet im Garten um zu weinen, wo ihn niemand sehen kann. Er fragt sich: Wer ist diese Frau, dieser einmalige Schatz? Ist er tatsächlich für mich bestimmt?
Beim Souper erheitert H die Anwesenden mit geistreichen und auch frivolen Bemerkungen.
C freut sich über den gelungenen Abend und H's Talent.
Tatsächlich aber hat H in einer Form auf sich aufmerksam gemacht, die sie unweigerlich in den Schoß der Gesellschaft zurückführen und von C entfernen wird.
Parma, in der Stadt, im Hotel.
C und H fahren spazieren. Es begegnet ihnen ein Wagen, in dem Dubois mit einem Edelmann sitzt. Als sie auf gleicher Höhe sind, stürzt eines ihrer Pferde, was Dubois Gelegenheit gibt, seinen Begleiter der Henriette als Herrn Dutillot vorzustellen. H verneigt sich nur.
Am nächsten Tag kommt Dubois und überbringt Dutillots, der herzoglicher Minister ist, Bitte, ihnen einen Besuch abstatten zu dürfen. H lehnt ab unter dem Hinweis, daß Dutillot sie nicht kennt, sie sich also als Abenteurerin stempeln würde, wenn sie ihn empfänge.
Schloß und Park Colorno bei Parma.
Einige Wochen später fahren C, H und Dubois in C's Wagen gemeinsam nach Colorno, wo der Hof im Schloß ein großes Fest gibt. Der Park ist die ganze Nacht beleuchtet und für jedermann zugänglich. Die drei gehen hier spazieren. Ihnen kommt das herzogliche Paar entgegen, in Begleitung eines Edelmannes, der H aufmerksam mustert. Bald darauf begegnen sie diesem allein, und er fragt H, ob er die Ehre habe, sie zu kennen. H verneint. Er setzt nach, indem er seinen Namen nennt: d'Antoine. H sagt, sich nicht zu erinnern, ihn je getroffen zu haben. Er entschuldigt sich und geht.
Er war einer der Trauzeugen bei H's Eheschließung.
H erscheint beunruhigt über diesen Vorfall. In der Tat gibt sie zu, diesen Namen zu kennen, und daß es möglich ist, daß d'Antoine sie einmal gesehen hat; sicher aber habe er nie mit ihr gesprochen, denn sonst hätte sie ihn wiedererkannt. C ist nun auch sehr besorgt und schlägt vor, sofort abzureisen. H meint, gut, aber so sehr brauchen wir uns nicht zu beeilen.
Parma, im Hotel; im Schloßpark.
Dezember 1749.
Schon drei Tage später erhält C einen Brief von d'Antoine, in dem er ihn um ein Treffen im Schloßpark bittet, der nur zum Zweck hat, C einen versiegelten Brief an H zu überreichen.
H liest ihn und teilt C dann mit, die Ehre zweier Familien erlaube ihr nicht, ihn den Brief lesen zu laßen, und sie müße d'Antoine nun wohl empfangen, da er, wie sie erfahre, mit ihr verwandt sei.
Damit setzt sie sich von C ab, dem auch schlagartig klar wird, daß nun alles aus ist.
Er erkennt, daß Parma mit seinen vielen Franzosen für ihr Versteckspiel der ungünstigste aller Orte gewesen ist, und daß es ein weiterer Fehler war, die Gesellschaft mit Dubois gepflegt zu haben. Er ist verzweifelt. H beruhigt ihn: es könne ja noch alles gut gehen. Sie eröffnet ihm, daß d'Antoine ihre ganze Geschichte und ihre Fehler kennt und zwischen ihr und ihrer Familie vermitteln werde. Allerdings werde sie harte Bedingungen stellen; sollten diese nicht angenommen werden, wolle sie für immer bei ihm bleiben.
Schon am nächsten Tag kommt d'Antoine zu ihnen ins Hotel, um mit H das weitere Vorgehen abzusprechen. C darf nicht dabeisein; sechs Stunden lang muß er, im Nebenzimmer sitzend, warten, während dessen die beiden Hauptpersonen verhandelten und schrieben.
Er spielt schon keine wesentliche Rolle mehr.
H hat einen Brief nach Hause geschrieben; auf die Antwort muß sie vierzehn Tage warten; sie möchte weg von Parma, er erst recht; sie brechen auf nach Mailand.
Gleich nach ihrer Rückkehr erschien d'Antoine zum Mittagessen. Erneute Konferenz, sechs Stunden, C wie gehabt im Nebenzimmer, tut als ob er schriebe.
H kommt und sagt, die Würfel seien gefallen, ihr Schicksal verlange, daß sie sich trennten. Wann, fragt er. Sobald wir in Genf angekommen sind, wohin Du mich bringen wirst, antwortet sie, und trägt ihm auf, ihr eine Reisebegleiterin zu beschaffen.
Das kommt einer Demütigung C's gleich, denn so eine Begleiterin hätte sie höchstens erst ab Genf gebraucht; die Zweisamkeit wird taktlos beendet. C ist offenbar von den Ereignissen überfordert, er scheint die Kränkung nicht zu bemerken.
Die "Anstandsdame" wird von Dubois gebracht; d'Antoine kommt auch noch einmal, mit einem für Genf bestimmten Brief, den er H überreicht.
Zu dritt reisen sie bei Einbruch der Dunkelheit in C's zweisitzigem Wagen aus Cesena ab. Er muß auf dem Klappsitz unter der Frontscheibe Platz nehmen, den er in Cesena noch freiwillig eingenommen hatte, um H in die Augen schauen zu können. Der Cellokasten ist hinten auf den Koffern daraufgeschnallt.
Turin. Poststation.
Sie nehmen einen Diener als Hilfskraft für der Überquerung der Alpen.
Mont Cenis Paß.
Die etwa 12 Stunden dauernde Überquerung des Mont Cenis mitten im Winter unterstreicht die trostlose Lage, in der sich C und H befinden. Die dabei notwendigen Aktionen sorgen immerhin für etwas Gesprächsstoff, an dem es ansonsten stark mangelt.
Tiefer Schnee. In Novalesa wird der Wagen auseinander genommen und auf Maultiere gepackt. Die vier Personen besteigen Pferde der "Bergmänner", die hier den Transport übernehmen. In Grand Croix, am Beginn des Hochtals des Mont Cenis, setzen sie sich in Pferdeschlitten. Im Hospiz eßen sie Forellen, wortkarg wie schon die ganze Zeit. Nachdem sie am See vorbeigekommen sind, aus dem die Forellen stammen, erreichen sie La Ramasse, ein Haus, in dem Bergmänner Rodelschlitten bereit halten. Vier dieser Leute fahren sie in kurzer Zeit hinunter nach Lanslebourg, wo es wieder eine Poststation gibt. C überwacht den Zusammenbau seines Wagens, während H sich ausruht.
Genf. Im Hotel "A la Balance".
Der Bankier Tronchin erscheint. C hatte ihm vorher einen Brief zukommen laßen, den er von H hat. Er händigt C auf Grund des Briefes 1000 Louis d'or aus. Zu H sagt er, er werde ihr morgen wie gewünscht zwei gute Diener schicken, und auch den Wagen vorfahren lassen, den er für sie kaufen solle. H sagt, sie wolle dann sofort abreisen. Tronchin geht.
Traurig und schweigsam sitzen die beiden in ihrem Hotelzimmer. C unterbricht das Schweigen mit der Idee, ihr seinen Wagen anzubieten, denn ihrer könne unmöglich besser sein als seiner. Damit ist sie einverstanden. Gleichzeitig steckt sie ihm einige Rollen von insgesamt 500 Louis d'or in die Tasche. Seufzend nimmt er sie hin.
Die enorme Summe von 1500 Louis, mit der C abgefunden wird, zeigt H's Wertschätzung, die sie für ihn hegt, und daß sie weiß, daß er selbst nichts ist und auch nicht reich ist, sondern nur reiche Gönner hat. Jedoch hat sie ihm damit auch alles Geld zurückgegeben, das er für sie ausgegeben hat. So gibt sie alle Geschenke zurück, steht gleichsam nicht mehr in seiner Schuld, und ist nun auch in dieser Hinsicht wieder frei.
In Tränen und zärtlichen Umarmungen verbringen sie die letzten gemeinsamen 24 Stunden. Dabei muß nun auch er das Erkennungsverbot über sich ergehen laßen: Keine Erkundigungen nach ihr einziehen, und vorgeben, sie nicht zu kennen, falls sie sich je noch einmal begegnen sollten.
"Ich habe eben Pech mit dem Charakter meiner Geliebten", denkt sich C. Gerade vor dem Hintergrund ihrer eigenen Fehltritte hatte er gehofft, daß sie zu ihm hält, schon aus Dankbarkeit für seine Hilfsbereitschaft. Und was ihre Familie betrifft: wenn diese ihr den Seitensprung, das uneheliche Kind und die Flucht verziehen hat, um wie viel weniger hätte sie den Umstand verurteilt, daß H während ihres Ausreißens einen Freund hatte, zumal der noch so anständig und hilfsbereit ist und ihre Heimkehr in keiner Weise behindert hat. Ganz im Gegenteil: H hätte ihn eigentlich nach Hause mitnehmen und ihn ihrer Familie als ihren Wohltäter vorstellen sollen, denkt er sich. Andererseits aber hat er wieder zuviel Respekt vor dieser einmaligen Frau, als daß er ihr entgegengetreten wäre.
Dann übergibt sie ihm auch noch einen Brief an d'Antoine, ohne zu fragen, ob er überhaupt zurück nach Parma fahren werde. Er ist aber sofort dazu bereit. Immerhin bittet sie ihn, in Genf zu bleiben, bis er einen Brief von ihr bekommen hätte, den sie ihm heute noch schreiben werde.
Im Morgengrauen bricht sie auf; ihre Reisebegleiterin hat sie neben sich, der Cellokasten hat nun zu ihren Füßen Platz; sie kann sich unterwegs des Instruments bedienen. Ein Diener sitzt auf dem Kutschbock, und der andere reitet voraus. C kehrt erst in sein Zimmer zurück, als er den Wagen längst aus seinen Augen verloren hat. Er legt sich ins Bett und versucht zu schlafen.
Vom zurückgekehrten Postillon nimmt er H's Brief entgegen, der nur ein einziges Wort enthält: "Adieu". Lebe wohl - dazu ist er jetzt nicht fähig; er verbringt einen weiteren tieftraurigen Tag im Hotel, bevor er abreisen kann. Da sieht er mit einem Diamantring eingeritzte Worte auf der Fensterscheibe: "Du wirst auch Henriette vergeßen". Nie und nimmer! sagt er sich, aber - was soll diese Prophezeihung, die mich in keiner Weise trösten kann? Hat sie vielleicht schon vollzogen, was sie mir zumutet: Das Vergeßen?
Großer Sankt Bernhard, im Schneesturm. Januar 1750.
C immer noch deprimiert. Er wählt auf dem Weg zurück nach Parma einen im Winter gefährlichen Paß, als ob er den Tod sucht. Für dessen Überquerung braucht er drei Tage. Seine einzige Begleitung ist ein Diener. Sein Wagen - der ursprünglich für Henriette angeschaffte - geht wie gehabt zerlegt mit hinüber.
Parma, Januar 1750. In einem schlechten Gasthof. In der Stadt.
C bringt d'Antoine H's Brief an ihn. Darin befindet sich auch ein vollgeschriebenes Blatt an C. Er liest es im Beisein d'Antoines, der diesen Brief dann auch zu lesen verlangt, da er nicht versiegelt ist.
Der Brief beginnt mit den Worten: "Nun bin ich es, mein einzig Geliebter, die Dich verlaßen mußte". Sie hätten einen süßen Traum geträumt, und sich drei Monate hindurch vollkommen glücklich gemacht. Aber sie erneuert ihr Verbot der Kontaktaufnahme und des Wiedererkennens. Sie habe ihre Angelegenheiten so gut geregelt, daß sie für den Rest ihres Lebens glücklich sein werde. Sie werde nie mehr einen Liebhaber haben, wolle aber nicht, daß er es ihr darin gleichtue. "Ich wünsche Dir, daß Du eine neue Liebe und sogar daß Du wieder eine Henriette findest. Lebwohl."
C schließt sich in sein Zimmer ein und verweigert jede Nahrungsaufnahme. Er grübelt und fragt sich noch immer: Wer ist Henriette? Warum hat sie mich verlaßen? Habe ich etwas falsch gemacht? Warum kann sie so glücklich sein, nachdem sie mich nicht mehr hat? Weil sie vergeßen möchte und kann? Soll ich mir daran etwa ein Beispiel nehmen?
Fusina, Februar 1750.
C fährt an der Brenta entlang nach Fusina. Hier stellt er seinen Wagen unter und besteigt eine Gondel, die ihn hinüber nach Venedig bringt.

3. Akt.
Dreizehn Jahre später:
Genua, April 1763.
C auf der Reise von Mailand nach Marseille. Bei ihm seine Freundin La Crosin, der Maler Passano und sein Diener Clairmont. Er spannt dann noch seinem kleinen Bruder Gaetano die junge Marcolina aus, die er aus Venedig entführt hatte. Alle sechs Personen gehen an Bord einer Feluke, die sie nach Antibes bringt. Sie schlafen auf dem Deck, umgeben von Koffern und den Teilen von C's zerlegtem Reisewagen, wie in einem Zimmer. C liegt zwischen den beiden Mädchen.
Von Antibes nach Marseille, in der Kutsche.
C hält die täglich zurückgelegten Wegstrecken sehr kurz, um möglichst lange mit La Crosin in den Postgasthöfen allein zu sein, da er sie in Marseille ihrem zukünftigen Gatten übergeben wird.
Marseille und Umgebung. Mai 1763.
C wird von den Eltern von La Crosin, die vor einem halben Jahr nämlich mit einem Abenteurer und Freund Casanovas durchgebrannt war, auf das herzlichste empfangen. Das gleiche wiederfährt ihm durch ihren künftigen Gatten, einem reichen und vornehmen Kaufmann. Bei der Hochzeit im nahegelegenen Dorf St. Louis ist er zusammen mit Marcolina eingeladen, mit der er sich inzwischen in der Nachfolge der Braut eingelassen hat.
Die Handlungsweise von La Crosin und ihrer Familie steht in krassem Kontrast zu der damaligen von Henriette, mit der C von den Umständen her praktisch das gleiche erlebt hatte. Nur wenige Tage nach dieser Hochzeit wird er sie wiedersehen.
21. Mai 1763, 16 Uhr. - C fährt in seinem Wagen zusammen mit Marcolina (und seinem Diener Clairmont auf dem Kutschbock) in Richtung Avignon ab.

In Bouc-Bel-Air bricht die Verankerung der Deichsel, und zwar vor einem Landhaus, zu dem eine Allee führt. C schickt Clairmot dorthin. Er kommt mit zwei Dienern zurück und wird im Auftrag ihres Herrn aufgefordert, im Schloß auf den Stellmacher, der den Wagen reparieren soll, zu warten. Sie gehen die Allee entlang dorthin. Vor dem Schloß kommen ihnen drei Damen und zwei Herren entgegen, von denen der eine die Einladung ausspricht und hinzufügt, Madame werde es eine Ehre sein, ihm ihr Haus und ihre Dienste anzubieten.
Es ist Henriette, die allerdings, wie die anderen Damen auch, wegen des starken Regenwindes eine Kapuze über den Kopf gezogen hat, so daß C ihr Gesicht nicht richtig sehen kann.
Beim Eintritt ins Haus simuliert Henriette einen Fehltritt und läßt sich hinkend am Arm eines der Herren auf ihr Zimmer führen. So kommt es, daß sie auch beim Souper nicht am Tisch sitzt. Aber am späten Abend empfängt sie C und Marcolina an ihrem Bett, hinter dessen Vorhängen sie sich vor seinen Blicken schützen kann. Sie plaudern, und C spielt die ihm zugedachte Rolle selbstverständlich mit, wenn es ihm auch schwerfällt, einen unverbindlichen Ton zu bewahren, so sehr ergreift ihn dieses Zusammentreffen mit seiner größten Liebe nach so langer Zeit.
Erschwerend kommt hinzu, daß Henriette sich ganz unverblümt an Marcolina heranmacht. Schon in der Gegenwart C's gehen die beiden ziemlich weit. Als er sich höflich zurückziehen will, muß er von Marcolina hören, daß sie die Nacht hier bei Madame verbringen darf und werde. Ziemlich konsterniert legt sich C ganz alleine schlafen. Er hofft, möglichst bald wieder weiterfahren zu können.
22. Mai, im Morgengrauen.
C steht frierend bei seinem Wagen und redet auf den Stellmacher ein, er solle sich mit der Reparatur beeilen. Ein Diener bringt ihm eine Tasse Kaffee hinaus.
Als alles fertig und zur Abreise bereit ist, fragt er den Diener, ob Madame schon zu sprechen sei, denn er wolle sich bedanken. Da kommt Marcolina mit einem der Herren heraus. Dieser sagt, Madame wage sich noch niemandem zu zeigen, ließe ihm aber ausrichten, er sei ihr jederzeit willkommen, sollte ihn sein Weg wieder hierher führen, ob er allein sei oder in Gesellschaft. Diese Anspielung auf Marcolina, die bester Laune ist, mißfällt ihm, er läßt sich aber nichts anmerken.
Er bedankt sich bei dem Herrn ausführlich, gibt jedem Diener, der gerade vorbeikommt, ein Goldstück, und sie fahren schließlich los.
Unterwegs nach Avignon.
C macht Marcolina Vorwürfe, daß sie Madame ihm vorgezogen hat, kann ihr aber nicht ernstlich böse sein. Er läßt sich alles erzählen. Henriette habe sie regelrecht verführt und sie habe sie nachts dann glücklich gemacht. Als Beweis zeigt sie ihm einen sehr wertvollen Diamantring, den sie ihr zum Abschied geschenkt hatte. Er verzeiht ihr alles und küßt sie zärtlich.
In Avignon. Am Abend desselben Tages, im Hotel.
Marcolina fragt, ob sie in Avignon seien. C bejaht, worauf sie ihm eröffnet, von Madame heute früh einen Brief an ihn erhalten zu haben, den sie ihm erst hier übergeben dürfe. Ungeduldig verlangt er danach, ihn zu bekommen. Marcolina spannt ihn auf die Folter, indem sie umständlich aus ihrer Tasche ein Papier nach dem anderen herauszieht, wobei es sich zunächst um ihren Taufschein handelt, dann ein Leumundszeugnis, ein Jungfauen-Attest ("Hat es Dir eine Hebamme ausgestellt?" - "Nein, der Patriarch von Venedig"), sowie das schriftliche Heiratsversprechen von C's Bruder Gaetano, bis sie endlich den Brief findet.
C springt in die Höhe, reißt ihn auf und ließt eine Art Anschrift:
"Dem achtenswertesten Mann, den ich je gekannt habe". Er faltet ihn vollends auseinander und erblickt ein leeres Blatt, an dessen unterem Rand nur ein Wort geschrieben steht: "Henriette".
Er fällt zurück auf das Sofa. Marcolina nimmt den Brief, schaut ihn an und sagt, sie habe schon mitbekommen, daß er Madame kenne, aber sie habe nicht gedacht, daß allein ihr Name eine so große Wirkung auf ihn ausüben könne. C erwidert, das sei es nicht, es sei die Anrede, und das leere Blatt. Habe Henriette denn weiter nichts zu ihr gesagt? Doch, antwortet sie:
"Sie hat mir geraten, ich dürfe, wenn ich immer glücklich sein wolle, dich nie verlassen."
C schaut sie skeptisch an, und wendet dann seinen Blick in die Ferne.
"Ja, ja, ich weiß."

Ende.


Exposé
VERGISS MICH, CASANOVA !
Spielfilm
Idee & Autor: Pablo Günther
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A. Vorspann:
Komödie um Casanova. In Italien und Frankreich, Mitte 18. Jhdt.
1. In Casanovas Leben gab es eine Frau, der er nicht gewachsen war: Henriette.
2. Die Rollen waren für ein einziges Mal vertauscht: Es ist Henriette, die Casanova beherrscht, und sie ist es, die ihn zwar leidenschaftlich liebt, aber doch nur kühl für eine Intrige benutzt, und dann verläßt.
3. Er erfuhr über sie so gut wie nichts, nicht einmal ihren richtigen Namen; dennoch - oder vielleicht deswegen? - wurde sie zur größten Liebe seines Lebens.
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B. Hauptpersonen:
Casanova. 24 - jähriger bürgerlicher Abenteurer und Libertin aus Venedig.
Groß, kräftig, gutaussehend. Literat, promovierter Jurist, auch kurz Geistlicher.
Ein Mann, den die Frauen lieben, und die ihn auch nach der Trennung immer weiterlieben werden, weil er sie ausnahmslos glücklich zu machen verstanden hat.
Besondere Interessen: Literatur, Theater, Glücksspiele, Philosophie, Mathematik, Medizin, Alchemie, Kabbala. Wenig Interesse an Musik. Lieblingsschriftsteller: Ariost, Horaz. Auf alles neugierig, wißensdurstig, voller Energie, laut, schnell entschloßen, geistesgegenwärtig, anpassungsfähig, äußerst beredt, ironisch, von heiterer Natur; aber auch pedantisch und besserwißerisch. Beherrscht vollkommen die Umgangsformen auch allerhöchster Kreise. Sehr einfühlsam in die Geschicke der Menschen, aber nur, wenn sie ihn interessieren.
Als er Henriette kennenlernt, befindet er sich gerade auf einer längeren Bummel-Tour durch Norditalien, und denkt daran, noch nach Neapel zu einer alten Freundin zu reisen. Geld fließt reichlich von den Konten seines venezianischen Ziehvaters und Mäzens, des Senators Bragadin: so ist er in der Lage, als Patrizier-Sprößling aufzutreten, eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert ist.
Er tritt bereits in der Art auf, die ihn einmal weltberühmt machen wird; allerdings ist er noch nicht so abgebrüht wie später, steht gerade noch in einem gewißen Schmelz der Jugend. Libertin ist er bereits, wie er auch Glücksspieler ist: Er versteht das Handwerk, und es macht Spaß; aber eher beiläufig. Henriette trifft ihn noch zu einer Zeit, als er erst ansatzweise als Abenteurer herumzieht, ansonsten aber noch für sechs Jahre seinen festen Patrizier-Wohnsitz in Venedig haben wird (das letzte Jahr allerdings im Gefängnis, dem er als einziger entfliehen und was seinen Ruhm begründen wird).
Das Zusammentreffen mit Henriette kommt zustande nicht etwa dadurch, daß er sie sieht und sich verliebt, sondern auf Grund seiner Neugier und dem Bedürfnis, sich in Szene zu setzen. Es wird ausgelöst durch die Bedrängnis, in die ein Mann (ihr Begleiter) geraten ist. Als er sie schließlich sieht, verliebt er sich sofort, und angenehmerweise scheint hier ein klarer Fall vorzuliegen, was alsbald in dem Spruch gipfelt: "Ihre Eroberung scheint mir nicht besonders schwierig". Sein Feldzugsplan ist erfolgreich wie immer, allerdings muß er zum letzten, für ihn bis dahin nie praktizierten, Mittel greifen: der Drohung in Form eines Ultimatums. Nichts anderes könnte hier schon so deutlich, am Beginn der Liebesgeschichte, seine schwache Position aufzeigen. Aber er selbst bekommt das nicht mit; schließlich führt seine mit aufrichtigen Liebesschwüren untermauerte Rede zu Henriettes Einverständnis. Das widerum war kein Wunder; denn womit hat der sympathische, junge und wohlhabende Mann eigentlich gedroht? Daß er auf der Stelle nach Neapel fährt, wenn er sie nicht nach Parma begleiten darf, wohin sie doch unbedingt hin will? Daß sie sich sofort entscheiden muß, wo sie sich doch schon längst für ihn als hochwillkommenen Ersatz für ihren nutzlosen Begleiter entschieden hat?
Eine Zeitlang noch kann Casanova glauben, alles im Griff zu haben. Aber spätestens auf dem Höhepunkt ihrer Beziehung wird ihm klar, daß er dieser ungewöhnlichen Frau nicht gewachsen ist, aber da ist er ihr schon für immer verfallen.
Henriette geht aus diesem Zusammentreffen klar als Siegerin hervor. Auf der Strecke bleibt die "ewige Liebe" (worüber Henriette einmal ausführlich philosophiert hatte), und ein Casanova, der ihr gegenüber nie eine Chance hatte, denn er spürt in sich eine derzeit noch nicht allgemein nachvollziehbare Sehnsucht nach einem nimmerendenden Glück, wie es erst viele Jahrzehnte später auch von einer Henriette wenn schon nicht empfunden, so doch verstanden worden wäre.
Diese oft unbestimmte und verschwommen wahrgenommene, unrealistische, eben romantische Sehnsucht nach Liebe und Treue aber ist nichts anderes als die Glückshoffnung der kleinen Leute, der Schicht, aus der Casanova hervorkam. Zwar hat der Adel bereits damit begonnen, die Liebe zur Natur und dem einfachen Leben auf dem Lande bei Schäferspielen in entsprechenden Hütten und Anlagen in ihren Parks zu huldigen, aber das hat entschieden einen perversen Beigeschmack und nichts damit zu tun, daß sich die oberen Gesellschaftsschichten schon etwas nach unten orientiert hätten. Casanovas große (nicht die kleinen und mittleren) Liebesempfindungen waren zu seinem Pech seiner Zeit weit voraus; Henriette ist mitten darin.
Henriette. 24 - jährige adlige Abenteurerin und Libertine aus Aix-en-Provence.
Selbstbewußt, schön, hochgebildet. Spielt Cello.
Sie war Casanovas größte Liebe. Sie war die einzige Frau, die ihn fest im Griff hatte, und auch die einzige, die ihn verlassen hat.
Sie ist eine Frau voller Geheimnisse, und damit eine starke Frau; denn der durchsichtige Mensch ist niemals stark.
Diese Stärke ist eine Säule der Libertinage (so nannten die feinen Leute [heute: Jet-Set] damals den "häufig wechselnden Geschlechtsverkehr"), indem sie nämlich auch Zurückhaltung von Information über sich selbst ermöglicht. Das zwangsläufig preisgegebene Wißen über sich selbst im Rahmen einer nicht so ganz kurzen Beziehung wird dann bei der Trennung aus Diskretionsgründen wieder eingefordert, was nichts anderes bedeutet, als: Sich gegenseitig zu vergeßen.
Henriette steht exemplarisch für diesen Frauentypus, den es so immer gab und immer geben wird, wenn auch zeitweise, wie heute, in gemäßigter Form, und der die Männer in besonderem Maße anzuziehen versteht.
Beim Einsatz der Handlung ist sie als Offizier verkleidet und befindet sich in einer schwierigen Lage: Ohne Geld und abhängig von dem Mann, der ihr bei ihrer Flucht aus Aix half.
Aber sie hat ein Ziel: sie möchte unbedingt nach Parma, wo sie Landsleute vorzufinden hofft, die ihr helfen können, wieder nach Hause zu kommen. Aber wie das anstellen, mit dem wenig hilfreichen, lästigen Mann?
Da trifft sie auf Casanova, und die ganz simple Frage steht im Raum: Wie geht es jetzt weiter? Mit dieser aufregenden Frau, und mit diesem Schürzenjäger (wie ihn ja jeder heute kennt)?
Die Antwort wird peu à peu geliefert, so, wie die beiden sich selbst und ihre Vorgeschichten kennen lernen.
Dabei zeigt sich, daß bei einigen Gemeinsamkeiten - dazu gehört auch ihre leidenschaftliche Liebe zueinander - doch beide grundverschieden sind: Henriette weiß ganz genau, was sie will, und verliert ihre Ziele (Unabhängigkeit und Heimkehr) nie aus den Augen. Casanova aber will nur lieben und geliebt werden, und hat keinerlei sonstige (auch keine beruflichen) Vorhaben im Auge, außer eben, daß er mit ihr immer zusammenbleiben möchte.
Das bedeutet für Henriette ein Problem: Wie kann sie sich von ihm freimachen, ohne ihn allzusehr zu verletzen?
Grundverschieden ist auch die liebes-strategische Lage: Henriette weiß sehr schnell, wer Casanova ist; er hingegen stellt sich bis zum Schluß immer wieder die Frage: Wer ist Henriette?
Ein Gegensatz besteht auch darin, daß sie ihn durchaus ehrlich und leidenschaftlich liebt, aber konsequent als Libertine; sie verliert sich daher nie an ihn, während ihm genau das mit ihr widerfährt.

 Copyright by Hartmut Pablo Günther, Hergensweiler 2019.


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