Bearbeitet von Pablo Günther.
Seit über hundert Jahren versuchen Casanovisten das
Problem zu lösen, wer sich hinter den Buchstaben M.M. versteckt, die
Casanova einer Nonne aus Murano aus Diskretionsgründen zugeordnet
hat. Die Dame wird allgemein - neben "Henriette" (ebenfalls ein Deckname)
- als die leidenschaftlichste und faszinierendste Frauenfigur in der Histoire
de Ma Vie angesehen. Von daher schon ist das Interesse an ihr immer
besonders groß gewesen, und verschiedene Hypothesen wurden aufgestellt.
Stand
der Forschung. - Gugitz sah in ihr eine
Maria Lorenza Pasini, Childs eine Maria Eleonora Michiel und Gruet
glaubte, sie als Maria Morosini identifiziert zu haben.
Die These Pierre Gruets erschien als die wahrscheinlichste,
da die Altersangabe Maria Morosinis mit 22 - 23 Jahren auf die von Casanova
angegebene zutrifft. Allerdings ist immer zu bedenken, dass er seine Frauen
gerne jünger machte, als sie in Wirklichkeit waren. Vor allem aber
machte Riccardo Selvatico in seinem Buch "Cento note per Casanova
a Venezia" darauf aufmerksam (1), dass M.M.
laut Casanova die Statue des Bartolomeo Colleoni auf dem Campo S. Giovanni
e Paolo nicht kannte, Maria Morosini sie aber gekannt haben musste, denn
in unmittelbarer Nähe dieses Platzes stand schließlich ihr Elternhaus.
Paola Boranga hat 1968 der Nonne M.M. eine sorgfältige
Studie gewidmet und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ihr wahrer Name
noch nicht gefunden wurde.
Darüber hinaus sind manche Studiosi sogar der Meinung,
dass M.M. nichts als eine literarische Erfindung Casanovas sei und die
er, wie es zu seiner Zeit angeblich üblich war, auf Grund von Erzählungen
über skandalöse Affairen in den Klöstern komponiert habe.
So hat noch kürzlich, 1997, Furio Luccichenti im "Intermédiaire
des Casanovistes" die Meinung vertreten, Casanova habe sich an einer berüchtigten
Affaire mit einer Nonne orientiert, die dem französischen Botschafter
in Venedig von 1732 bis 1743, Charles-Francois de Froulay (also ein Vorgänger
des Freundes von M.M., Abbé de Bernis), nachgesagt wurde.
Spekulative Thesen dieser Art sind jedoch nicht überzeugend,
da Casanovas Wahrheitsliebe in Bezug auf Fakten und Personen schon längst
und endgültig erwiesen ist. Ausserdem macht das Besondere der Geschichte
von M.M. gerade die Tatsache aus, dass sie so, wie sie erzählt wird,
als wirklich geschehen bewiesen werden kann. Wenn Casanova Einzelheiten
hinzugefügt oder weggelassen haben sollte, kann das daran nichts ändern.
Die
Spur zur Familie Minelli. - Zunächst zum
französischen Botschafter in Venedig, dem Abbé de Bernis, M.M.s
Liebhaber. Dass er wirklich eine Liebesbeziehung mit einer Nonne hatte,
ist durch einen Brief vom 1. Sept. 1754 an die Gräfin des Alleurs
bewiesen (2). Zwar war es den Botschaftern
verboten, mit Einheimischen Kontakte zu pflegen, jedoch drückten die
Inquisitoren schon mal ein Auge zu, wie Casanova selbst in seinem Buch
"A Leonard Snetlage" von 1797 mit Hinweis auf de Bernis und seine Liebesaffaire
berichtet. Hier erwähnt er auch den excellenten Koch von de Bernis,
namens Rosier, der ihm, Casanova, einige angenehme Nächte (mit M.M.)
im Lusthaus seines Herrn verschafft habe. Diesen Koch kann Casanova schon
1752 kennengelernt haben, als sein Freund, der junge schweizer Baron de
Bavois, an der französischen Botschaft eine Anstellung bekommen hatte.
Ganz in der Nähe der Botschaft, unweit der Kirche Santa Madonna dell'Orto,
befanden sich das Elternhaus von C.C., Caterina Capretta (Casanovas Geliebte
vor M.M. und Freundin derselben), sowie die miteinander verbundenen Palazzi
der Contarini und der Minelli.
Casanova betrat den Palazzo Contarini - ebenfalls 1752
- anlässlich der Affaire mit der jungen Marchetti, als er zum Conte
Contarini dal Zaffo, Staatsinquisitor, im privaten Rahmen und ohne schlimme
Folgen vorgeladen wurde.
(1) R. Selvatico, Cento note per Casanova a Venezia
(1753-1756). Neri Pozza, Vicenza 1997, p.218.
(2) J. Rives Childs, Casanova. Die grosse Biographie.
München
1977, pp. 84-85.
(3) Dieser Name resultiert aus der Heiratsurkunde, während
H. Watzlawick meint, es handle sich um Zuanne Minelli.
(4) Ingressi del Fondo Torcellano dell'Archivo della
Curia Patriarcale di Venezia, Fascicolo 44.
(5) 28. Maij 1775 sancti mona.ium S. Mariae Angelorum
MurianidesVisitatio Diocesis Torcel. E sub. I.ll.o + Rmo. Fr. Pauolo a
Ponte.
Copyright by Barbara Evers, Vimercate, Italien. 1999.