Maria Elisabetta Minelli - Casanovas Geliebte M.M.?
Eine neue Untersuchung über die Identität einer faszinierenden Frau
von
    Barbara Evers

Bearbeitet von Pablo Günther.

Seit über hundert Jahren versuchen Casanovisten das Problem zu lösen, wer sich hinter den Buchstaben M.M. versteckt, die Casanova einer Nonne aus Murano aus Diskretionsgründen zugeordnet hat. Die Dame wird allgemein - neben "Henriette" (ebenfalls ein Deckname) - als die leidenschaftlichste und faszinierendste Frauenfigur in der Histoire de Ma Vie angesehen. Von daher schon ist das Interesse an ihr immer besonders groß gewesen, und verschiedene Hypothesen wurden aufgestellt.
    Stand der Forschung. - Gugitz sah in ihr eine Maria Lorenza Pasini, Childs eine Maria Eleonora Michiel und Gruet glaubte, sie als Maria Morosini identifiziert zu haben.
Die These Pierre Gruets erschien als die wahrscheinlichste, da die Altersangabe Maria Morosinis mit 22 - 23 Jahren auf die von Casanova angegebene zutrifft. Allerdings ist immer zu bedenken, dass er seine Frauen gerne jünger machte, als sie in Wirklichkeit waren. Vor allem aber machte Riccardo Selvatico in seinem Buch "Cento note per Casanova a Venezia" darauf aufmerksam (1), dass M.M. laut Casanova die Statue des Bartolomeo Colleoni auf dem Campo S. Giovanni e Paolo nicht kannte, Maria Morosini sie aber gekannt haben musste, denn in unmittelbarer Nähe dieses Platzes stand schließlich ihr Elternhaus.
Paola Boranga hat 1968 der Nonne M.M. eine sorgfältige Studie gewidmet und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ihr wahrer Name noch nicht gefunden wurde.
Darüber hinaus sind manche Studiosi sogar der Meinung, dass M.M. nichts als eine literarische Erfindung Casanovas sei und die er, wie es zu seiner Zeit angeblich üblich war, auf Grund von Erzählungen über skandalöse Affairen in den Klöstern komponiert habe. So hat noch kürzlich, 1997, Furio Luccichenti im "Intermédiaire des Casanovistes" die Meinung vertreten, Casanova habe sich an einer berüchtigten Affaire mit einer Nonne orientiert, die dem französischen Botschafter in Venedig von 1732 bis 1743, Charles-Francois de Froulay (also ein Vorgänger des Freundes von M.M., Abbé de Bernis), nachgesagt wurde.
Spekulative Thesen dieser Art sind jedoch nicht überzeugend, da Casanovas Wahrheitsliebe in Bezug auf Fakten und Personen schon längst und endgültig erwiesen ist. Ausserdem macht das Besondere der Geschichte von M.M. gerade die Tatsache aus, dass sie so, wie sie erzählt wird, als wirklich geschehen bewiesen werden kann. Wenn Casanova Einzelheiten hinzugefügt oder weggelassen haben sollte, kann das daran nichts ändern.
    Die Spur zur Familie Minelli. - Zunächst zum französischen Botschafter in Venedig, dem Abbé de Bernis, M.M.s Liebhaber. Dass er wirklich eine Liebesbeziehung mit einer Nonne hatte, ist durch einen Brief vom 1. Sept. 1754 an die Gräfin des Alleurs bewiesen (2). Zwar war es den Botschaftern verboten, mit Einheimischen Kontakte zu pflegen, jedoch drückten die Inquisitoren schon mal ein Auge zu, wie Casanova selbst in seinem Buch "A Leonard Snetlage" von 1797 mit Hinweis auf de Bernis und seine Liebesaffaire berichtet. Hier erwähnt er auch den excellenten Koch von de Bernis, namens Rosier, der ihm, Casanova, einige angenehme Nächte (mit M.M.) im Lusthaus seines Herrn verschafft habe. Diesen Koch kann Casanova schon 1752 kennengelernt haben, als sein Freund, der junge schweizer Baron de Bavois, an der französischen Botschaft eine Anstellung bekommen hatte. Ganz in der Nähe der Botschaft, unweit der Kirche Santa Madonna dell'Orto, befanden sich das Elternhaus von C.C., Caterina Capretta (Casanovas Geliebte vor M.M. und Freundin derselben), sowie die miteinander verbundenen Palazzi der Contarini und der Minelli.
Casanova betrat den Palazzo Contarini - ebenfalls 1752 - anlässlich der Affaire mit der jungen Marchetti, als er zum Conte Contarini dal Zaffo, Staatsinquisitor, im privaten Rahmen und ohne schlimme Folgen vorgeladen wurde.

Ein wichtiges Indiz zur Identifizierung von M.M. liefert Casanova selbst; gleichwohl hat noch kein Casanovist darauf geachtet. Es handelt sich um das Briefsiegel, welches M.M. benutzte und das Casanova - jahrzehnte später - als "noeud coulant" (Schlinge) bezeichnet. Von allen Familienwappen, die ich durchgesehen habe, kann nur das der Contarinis als "Schlinge" angesehen werden, auch wenn es vielleicht etwas anderes darstellen soll, und es war durchaus üblich, dass wie hier die Tochter das Wappen der Familie mütterlicherseits in Gebrauch hatte. Dieses Wappen ist heute noch am Tor zum Garten der Palazzi Contarini-Minelli zu sehen.
Über M.M. wissen wir, dass sie einer berühmten und bedeutenden Familie angehörte. Die Contarinis waren das, und zu dieser Familie gehörte auch eine Elisabetta Contarini, die ihren Nachbarn, Francesco Minelli, heiratete.
Elisabetta und Francesco Minelli hatten drei Töchter:
    Angela, geboren am 24. November 1721,
    Antonia Pellegrina, geboren am 15. Juli 1724, und
    Maria Lorenza, geboren am 20. August 1728.
Das vierte Kind der Elisabetta Minelli war ein ausserehelicher Sohn namens Cristoforo Marco (geb. 6.5.1742) von Francescos Bruder Pietro Minelli (3); es könnte dieser Bruder von M.M. sein, der in den Memoiren erwähnt wird. Mutter Elisabetta Contarini-Minelli starb am 21. Oktober 1746 im Alter von 49 Jahren, während ihr Ehemann das hohe Alter von 91 Jahren erreichte und am 9. Mai 1767 starb.
    Das Kloster Santa Maria degli Angeli auf Murano. - Hier muss M.M. gewesen sein, denn Casanova erwähnt dieses Kloster im Originalmanuskript, hat die Wörter allerdings aus Diskretionsgründen durchgestrichen. War nun eine der Minelli -Töchter ebenfalls in Santa Maria degli Angeli? In der Tat, in einem Register (4) sind die beiden jüngeren Töchter Antonia und Maria als Anwärterinnen für das Nonnengelübde in besagtem Kloster eingetragen, und ein Dokument von 1775 (5) bestätigt deren Aufenthalt auch noch für diesen Zeitpunkt.
Die ältere Schwester, Antonia, hatte als Nonnennamen den Namen ihrer Mutter angenommen, Elisabetta, vor den sie noch, wie alle Nonnen, Maria setzte, und so haben wir eine mögliche Erklärung für Casanovas Abkürzung "M.M.". Hier ihr eigenhändiger Eintrag in einer Namensliste ihres Klosters:
Ihre jüngere Schwester Maria Lorenza hatte das Kloster bereits 1752 verlassen, um den adligen Venezianer Pietro Zuanne Minotto am 5. Oktober zu heiraten; von daher kann sie eigentlich nicht Casanovas M.M. gewesen sein.
    Maria Elisabetta Minelli hatte 1753 ihr Gelübde als Nonne der Augustinerinnen in Santa Maria degli Angeli abgelegt, im Alter von 28 oder 29 Jahren. Laut Casanova nahm die Affäre mit M.M. an Allerheiligen 1753 ihren Anfang und zog sich bis ins Jahr 1755 hinein. Überhaupt befindet sich vieles von dem, was Casanova über sie berichtet, mit den Lebensumständen der Maria Elisabetta Minelli im Einklang, was hier noch einmal aufgeführt werden soll:
    Die Herkunft aus einer grossen Familie;
    das Wappensiegel der Familie Contarini, aus der ihre Mutter stammt;
    die definitive Gelübdeablegung in Santa Maria degli Angeli;
    der vom Elternhaus weit entfernte Campo SS. Giovanni e Paolo, den Maria, da sie schon als Kind ins Kloster kam, nicht gekannt haben muss;
    und schliesslich ihr Alter von erst rund 30 Jahren.
Maria Elisabetta Minelli verbrachte wahrscheinlich ihr ganzes Leben im Kloster von Santa Maria degli Angeli. Im Nonnenverzeichnis vom 6. Juni 1795 erscheint sie als Vertreterin der Äbtissin, und nach der dreijährigen Amtszeit nochmals als Vertreterin am 6. Juni 1798. Sie wurde in ihrem langen Klosterleben erst im späteren Alter als Vikarin gewählt, vielleicht ein Hinweis darauf, dass man sie erst da, lange Zeit nach ihren Affären mit Abbé de Bernis und Casanova, für würdig hielt, in diesem Status tätig zu sein. Es ist jedenfalls denkwürdig, dass normalerweise schon viel jüngere Mitschwestern Ämter dieser Art bekleideten. Nach 1798 taucht ihr Name nicht mehr auf. Casanova war am 4. Juni 1798 gestorben und vielleicht hat es das Schicksal so gewollt, dass sie bald darauf auch starb. Sie wird jedenfalls bei der nächsten Äbtissinnen- und Vikarinnenwahl am 26. Juni 1801 nicht mehr aufgeführt.

Rechts: Kirche und Kloster Santa Maria degli Angeli.
Anmerkungen:

(1) R. Selvatico, Cento note per Casanova a Venezia (1753-1756). Neri Pozza, Vicenza 1997, p.218.
(2) J. Rives Childs, Casanova. Die grosse Biographie. München 1977, pp. 84-85.
(3) Dieser Name resultiert aus der Heiratsurkunde, während H. Watzlawick meint, es handle sich um Zuanne Minelli.
(4) Ingressi del Fondo Torcellano dell'Archivo della Curia Patriarcale di Venezia, Fascicolo 44.
(5) 28. Maij 1775 sancti mona.ium S. Mariae Angelorum MurianidesVisitatio Diocesis Torcel. E sub. I.ll.o + Rmo. Fr. Pauolo a Ponte.
 


Copyright by Barbara Evers, Vimercate, Italien. 1999.

zurück zu Start Casanova Tour


 
Impressum