Casanova Magazine
Mit Deux Chevaux auf Casanova Tour
von
Hartmut Pablo Günther



I. Frankfurt am Main  II. Pasiano di Pordenone  III. Spanien  IV. Wien  V. La Villa Medicea della Posta  VI. England  VII Venedig

I.  FRANKFURT AM MAIN

Ich erhalte einen alten Brief. Eine Konservenfabrik in München.
Ich fahre zu einem Familientreffen in einer alten Poststation.


    Am 28. November 1783 kamen Giacomo und Francesco Casanova in Frankfurt am Main an. Es war eiskalt. Sie nahmen Quartier im "Römischen Kaiser". Im eigenen viersitzigen, geschlossenen Wagen, von Paris kommend, hatten sie gerade in 5 Tagen 660 Kilometer hinter sich gebracht. Am Ende hatte noch ein betrunkener Postillon den Wagen umgeworfen, wobei sich Giacomo die linke Schulter verletzt hatte. Unverzüglich ließ er einen Arzt kommen. Dann setzte er sich hin und schrieb einen ausführlichen Brief an den Abbate Eusebio della Lena in Wien, in dem er ihm ankündigte, er und sein Bruder kämen in den nächsten zehn oder zwölf Tagen in Wien an; sie wollten die Straße über Regensburg und Linz nehmen.

    Im Sommer 1994 schickte mir Helmut Watzlawick diesen Brief, die einzige Quelle für den genauen weiteren Verlauf der Reise. Ich las ihn und konnte mein Glück nicht fassen. Damit war nämlich klar, daß einer meiner Vorfahren, nämlich der Ururgroßvater meiner Großmutter Anna Günther, und Postmeister von Emskirchen (vorletzte Station vor Nürnberg) Johannes Eckart (1725 - 1790), sehr wahrscheinlich mit den Brüdern Casanova Bekanntschaft gemacht hatte... Woher weiß ich von diesem Postmeister (Foto, mit Frau Christiane, links der Gasthof) und damaligem Eigentümer des heute noch fast original erhaltenen Gasthofs "Alte Post Zum Goldenen Hirschen"?



    Ein direkter Nachfahre gründete in München eine Konservenfabrik, deren Erfolgsgeschichte schließlich in der Erfindung und Herstellung der "Pfanni Knödel" gipfelte. Die Familie Eckart trieb eifrig Ahnenforschung bis in alle Zweige hinein, veröffentlichte eine Chronik und hält seit 1957 alle zehn Jahre auf eigene Kosten Familientreffen in Emskirchen und München ab. 1977 war dann auch ich zum ersten Mal dabei und einer von Hunderten anwesender Nachfahren des Mannes, der Casanova die Hand geschüttelt hat, ganz sicher aber mit vier oder gar sechs Pferden versorgen ließ. Damals inszenierte man noch die Durchreise der Kaiserin Maria Theresia, künftig läßt man vielleicht die Brüder Casanova vorfahren.



    Der heutige Besitzer der "Alten Post", Bernd Schuler, richtete nun ein "Casanova Gemach" ein. Bei dem Treffen in Dux am 4. Juni 1998 erschien er in historischer Postmeister-Uniform (Foto).


II. PASIANO DI PORDENONE

Mein Schlafwagen. Günstiges Logis im Hotel Villa Luppis.
Enttäuschung beim zweiten Besuch.

    Die Entdeckung, daß Casanova ein klein Wenig zur Geschichte meiner Vorfahren gehört, war kein Zufall, denn Casanovisten helfen untereinander nach Kräften. Dagegen hatte ich auch Glück bei dem Nachweis der Grenzfestung zwischen den Staaten Venedig und Trient "La Scala". Ebenfalls 1994, im Oktober, setzte ich mich nämlich wieder einmal in meine Charlotte (Besitzer des Citroen 2 CV "Charleston" nennen diesen Wagen, wie auch ich, gerne so), und fuhr über den San Bernardino nach Mailand und von dort auf der alten Poststraße nach Venedig, die heutige SP/SR 11. Wie immer schaute ich mich nach den alten "Gasthäusern zur Post" um. Am bemerkenswertesten fand ich das Posthaus in Fusina, das man erreicht, wenn man von Padua aus entlang der Brenta reist; jeder Reisende damals rühmte diese Strecke. In Vicenza bewunderte ich Palladios Bauwerke sowie sein Teatro Olimpico, und fuhr auch noch zu der von Veronese ausgemalten Villa Barbaro in Maser, denn da gab es  auch ein kleines Wagenmuseum. Schließlich kam ich in Pasiano di Pordenone an, wo der junge Casanova einmal Ferien gemacht hatte.

    Casanova hatte oft in seinen Wagen nicht nur geschlafen, sondern regelrecht gewohnt. Das war vor allem der Fall, wenn er Tag und Nacht unterwegs war. In Russland hatte er sogar einen richtigen "Schlafwagen", und meine Charlotte war auch eine von mir eingerichtete "Dormeuse". Es gab darin nur meinen bequemen Fahrersitz, den ich aus einem Citroen CX ausgebaut hatte. Drei stabile Schaumstoffteile und Decken, die tagsüber als Beifahrersitz zusammengesetzt waren, konnte ich zum Schlafen schnell als Matratze ausbreiten. Darunter lag die Campingtischplatte. Wenn ich an dem Tischchen nicht im Freien saß, bereitete ich meine Mahlzeiten neben mir auf der Matratze zu.
   



    In den Städten parkte ich zum Schlafen mein Auto vorzugsweise im Zentrum, da ist nämlich immer ein Bistro und ein Rouge ordinaire zum gemütlichen Ausklang des Tages. Natürlich nahm ich mir auch ein Hotel, wenn es die Umstände verlangten, oder ich eingeladen wurde, wie hier in Pasiano.

    In Pasiano di Pordenone war nicht mehr viel zu entdecken. Immerhin stand die Villa Gozzi in Visinale noch, aber der Wald von Cecchini war verschwunden, durch den Casanova mit der hübschen Braut des Pächters zurück nach Pasiano fuhr und sie während eines Gewitters im Wagen verführte. Ich erkundete weiter die Umgebung und wurde auf ein stattliches Landgut aufmerksam. Es lag einsam zwischen Pasiano und Mansuè.

    Das Anwesen stellte sich beim Näherkommen als Hotel "Villa Luppis" heraus. Froh, etwas Hübsches entdeckt zu haben, ging ich hinein, um vielleicht einen Kaffee zu trinken. Da kam mir ein Herr und eine Dame entgegen und begrüßten mich freundlich. Was mich in diese Gegend führe?, fragten sie mich. Ich rückte sofort mit Casanova heraus, der doch hier gewesen sei und viel darüber berichtet habe. Ich würde seine Reisen erkunden und wolle darüber ein Buch schreiben. Die Herrschaften wußten durchaus, daß Casanova hier war und zeigten sich von meinem Vorhaben sehr angetan. Sie stellten sich nun als die Eigentümer des Anwesens vor, Stefania und (Conte, wie ich später erfuhr) Giorgio Ricci Luppis. Nun setzten wir uns hin, ich bekam meinen Kaffee und wir plauderten hauptsächlich auf englisch über Casanova, und auch über die arme Lucia. Schließlich fragten sie mich, ob ich nicht für die Dauer meines Aufenthalts hier ein Zimmer nehmen wolle, ich sei herzlich eingeladen. Gerne nahm ich das Angebot an.
    Ich war vollkommen davon überzeugt, daß die beiden mich nicht als Hoteliers, sondern als Privatleute behandelten, ich das Zimmer also umsonst bekommen sollte. Entsprechend zurückhaltend verhielt ich mich auch, habe keine Mahlzeiten im Hotel eingenommen und war tagsüber sowieso weg (ich besichtigte z. B. von dort aus das Wagenmuseum der Villa Manin in Passariano). Nach zwei Tagen verabschiedete ich mich und dankte ihnen für die Gastfreundschaft. Ich durfte sogar noch ein Foto von ihnen machen. In der nächsten Ausgabe meines Handbuches waren die beiden unter der Rubrik "Danksagungen" aufgeführt und sind es bis heute.



    Meine naive Natur zeigte sich drei Jahre später erneut. Als ich da mit der Casanovistin Barbara Ruhl Rothgangel (früher Evers) durch Friaul fuhr, suchten wir gegen Abend ein Hotel. Ich schlug das nahe gelegene Hotel Villa Luppis vor, und freute mich darauf, es und Herrn und Frau Ricci Luppis wiederzusehen. Wir saßen bald gemütlich in der Lobby mit einem Glas Prosecco in der Hand, und ich fragte nach dem Conte oder seiner Frau. Es erschien eine Dame, kurzer Wortwechsel, leider wäre gar kein Zimmer frei. Heute ist mir klar: Ich hätte damals jedenfalls fragen sollen, ob ich ihnen vielleicht noch etwas schuldig sei.

    In der Beschreibung seiner Flucht 1756 erwähnt Casanova, daß er am Ende Feltre, sodann die Grenzfestung zu Trento "La Scala" passiert hatte, worauf er bald darauf eine Poststation vorfand, von der aus er nach Borgo Valsugana fahren konnte. Meine Reise nach Pasiano sollte auch dem Erkunden des Fluchtwegs dienen, und so sah ich mir auch aufmerksam die alten Bilder und Kupferstiche im Hotel Villa Luppis an. Und siehe, da hing eine alte Landkarte mit "La Scala", gelegen an der Straße von Feltre nach Primolano. Dieser Ort war Station der Poststrasse von Venedig nach Trient über Borgo Valsugana.



    Ein Paar Tage später fuhr dann auch ich durch die noch ziemlich gut erhaltene Festung, bzw. nebendran vorbei (Foto). Vorher hatte ich in Fiera di Primiero bei den Sartoris (von ihnen ist bald wieder die Rede) eine gute alte Freundin als Mitfahrerin zurück nach Heidelberg aufgenommen: Unsere Nachbarin in der Scheffelstraße von Heidelberg seit 1962 und Mutter meines besten Schulfreundes Karl, Frau Evi Schöfer.


III. SPANIEN

Eine Nachbarin in Heidelberg. Ich gebe in ihrem Haus ein Klavierkonzert.
Andrea Nervenzusammenbruch in Beaune. Ich kaufe einen französischen Wagen.
 
Ich führe den Haushalt eines Direktors und seiner enttäuschten Tochter.
 Auch ich finde Henriettes Chateau.


    Evi Schöfer (geborene Wichmann, Dresden, Wien, Meran, Heidelberg, 1917 - 2001) war durch und durch eine Dame wie aus dem Ancien Régime übrig geblieben. Sie ging fast jeden Abend in das Heidelberger Stadttheater oder in das Nationaltheater in Mannheim, in ein Konzert, einen Vortrag, in die Deutsch-Amerikanische Gesellschaft. Wenn sie nicht ausging, empfing sie häufig zu Hause. Stammgäste waren Opernsänger, Musiker, Literaten usw. Nebenbei bemerkt, im Hause Schöfer gab ich in den siebziger Jahren ein Konzert. Ich spielte die Französische Suite Nr. 5 G-Dur von J. S. Bach auf dem alten Flügel aus Dresden. Das Stück war allerdings relativ leicht, und ich hielt nicht immer das vorgesehene Tempo ein.



    Evi Schöfer (Foto, mit Myrto Kyriazi und mir) sprach gut Italienisch, reiste viel herum (auch mit ihrem Auto, einem VW Käfer), etwa zu den Festspielen in Bayreuth und Bregenz. Sie kannte auf der ganzen Welt Leute. Mit ihnen nahm sie sofort Kontakt auf, wenn einer ihrer Freunde irgendwohin wollte und um eine Empfehlung bat. Bei mir ging es auch darum, günstig beziehungsweise umsonst Unterkunft zu finden, was mir tatsächlich auch längere Aufenthalte bei Freunden Evis bzw. deren Töchtern (verkuppeln tat sie auch gern) in Paris, Taormina, Lanzarote, Altea, Sevilla, Saloniki, Wien und Cles ermöglichte oder jedenfalls leichter machte. Insbesondere das Abfahren der alten Poststraßen in allen Ländern, in denen Casanova war (nur in Polen, den baltischen Staaten und Russland war ich leider nicht), wäre ohne sie zwar auch gegangen, aber wahrscheinlich nicht so angenehm und lustig gewesen.

       Ich war nie außerhalb Europas. Das war auch nicht unbedingt nötig, denn die Welt kam zu Evi, und ich war oft dabei, wie z. B. 1971. Da war gerade der Chef von Volkswagen Peru, Herr Kohler, gestorben. Seine Witwe Ilse, eine Freundin Evis, und ihre Tochter Andrea hatten Lima verlassen und sich dann in der Nähe Heidelbergs ein Haus gekauft. Sie kamen regelmäßig zum Tee in das Haus Schöfer. Zufällig war ich auch einmal dabei. Bald darauf fuhr ich Tochter Andrea in ihrem VW-Käfer nach Altea (Provinz Alicante), wo die Kohlers auch ein Haus hatten.
   
Schon damals achtete ich auf die "Gasthäuser zur Post", denn ich hatte bereits eine "Post Karte", also eine Karte der Poststraßen und Posten (Foto). Ab Chalons-sur-Saone fuhren wir nur noch auf den gleichen Straßen bis Valencia, die Casanova auch benutzt hatte. Zwanzig Jahre später unternahm ich meine erste große Reise auf Casanovas Spuren ebenfalls auf diesen Straßen.



    In unserem Hotel in Beaune schickte ich mich an, unsere frische Bekanntschaft nach Möglichkeit zu vertiefen. Zusammen im Bett liegend, brach Andrea aber gleich in Tränen aus und beichtete mir, sie habe sich in Nepal, in Katmandu, in einen jungen, reichen, leider aber auch heroinabhängigen Amerikaner verliebt und müsse noch dauernd an ihn denken.
"Ich werde noch des Wahnsinns fette Beute", ächzte sie ständig, hin- und hergerissen zwischen einem alten und einem neuen Freund. Am nächsten Tag rief ich ihre Mutter, die bereits in Altea war, an, erzählte ihr das Vorgefallene und bekundete meine Absicht, sofort nach Heidelberg zurückzufahren. Andrea könne ja allein weiter fahren. "Um Gottes Willen, Pablo, tun Sie das nicht, ich beschwöre Sie, fahren Sie sie her, ich bin ja auch noch da und es wird schon irgendwie gut gehen!" Ich sah das ein. Andrea, immer noch am Rande eines Nervenzusammenbruches, war darüber natürlich auch froh. Wir besichtigten Beaune und fuhren dann weiter durch Burgund und das Rhonetal über Nimes nach Béziers, wo wir übernachteten. In Altea ging dann tatsächlich alles recht gut. Andrea heiratete bald einen Professor der Universität Frankfurt und bekam zwei Kinder.

    Casanovist wurde ich so. Im Januar 1990 beschloss ich, wieder ein Studium zu ergreifen. Dazu passend mußte ein neues Auto her, und zwar wieder eines wie früher als Student; am 13. Februar hatte ich meine Charlotte. Im März lieh ich mir in der Stadtbücherei die Große Casanova Biographie von Rives-Childs aus; darin war auch ein Beitrag von Helmut Watzlawick u. a. über Casanovisten. Ich war begeistert von diesem interessanten Beruf und die Entscheidung über mein Studienobjekt war gefallen. Ich wollte nun Casanovas Reisen genau erkunden und vor allem herausfinden, was ein "voiture anglaise", Casanovas bevorzugter Reisewagen, war.

    Im Herbst 1991 plante ich, von Heidelberg wegzuziehen. Bis ich wußte wohin, wollte ich endlich mal richtig auf "Casanova Tour" gehen, verbunden mit einem längeren Aufenthalt irgendwo.
    Ich begab mich also zu Evi Schöfer und erzählte ihr von meinem Reisevorhaben. Sie fragte, wo ich hinwolle. Ich antwortete, das sei egal, Casanova sei fast überall gewesen. "Dann fahre zu den Sartoris nach Barcelona. Die Frau ist gerade in Primiero und hätte gerne jemand, der für ihren Mann und ihre Tochter kocht", meinte sie und suchte die Telefonnummer heraus. Frau von Sartori war ganz begeistert, daß ich das mit dem Kochen gerne übernehmen würde und meldete mich an.
    Ein Paar Tage später fuhr ich zu meinen Eltern, die mich übrigens auch bei allen meinen Plänen, wenn auch oft erst nach einigem Zögern, dann aber immer gerne unterstützt hatten. Sie wohnten inzwischen in der Nähe von Lindau/Bodensee. Am 6. Oktober 1991 fuhr ich dann los.
    Ich übernachtete im Auto in Morges am Genfer See, Poststation, und zwar im Segelhafen und frühstückte in einem Café   . Dann fuhr ich über Rolle und Nyon nach Genf, und weiter über Aix-les-Bains, Chambéry
, Valence und Nimes nach Agde, von der Poststraße abweichend, weil ich an das Meer wollte. Dann durch Béziers und Narbonne, und wieder am Strand entlang, Perpignan umgehend, kam ich nach St-Cyprien-Plage wo ich mein Auto habe reparieren lassen müssen: Keilriemen und Unterbrecherkontakte, 180 FF. Übernachtet habe ich da auch. Einmal auf der Straße am Meer entlang, fuhr ich dann in Portbou nach Spanien hinein; die Poststraße über La Jonquera nahm ich, wie Casanova, auf dem Rückweg.



    Abends war ich am Ziel, in Castelldefels, ein Städtchen gleich südlich von Barcelona. Sartoris wohnten in einem hoch über dem Meer gelegenen Haus am Ende einer Straße (Foto).
    Auf der Ansichtskarte von dem Nachbau der Kriegsgaleere Don Juan d'Austrias an meine Eltern vom 13. Oktober steht geschrieben:
"Liebe Eltern!  Zum Briefschreiben komme ich doch noch nicht, daher diese schöne Karte - das Schiff werde ich demnächst sehen. Barcelona ist eine überwältigend schöne u. sehenswerte Stadt. Aber auch das Leben hier in Castelldefels (20 km südlich) ist sehr angenehm und problemlos. Ich kaufe ein, koche manchmal, gehe mit dem netten Hund spazieren, mache Besichtigungen usw. Herr Sartori u. Vera sind sehr nett u. unkompliziert. Viele liebe Grüße, Euer Hartmut".
    Ergänzend füge ich nur noch hinzu: Frau von Sartori wollte offensichtlich nur, daß ich sie bei Mann und Tochter ein bisschen vertrete. Schließlich mangelte es nicht an Haushaltshilfen. Und es sei noch erwähnt, daß die vierzehnjährige Tochter Vera zunächst von meinem Anblick entsetzt war; sie hatte verständlicherweise einen jungen Mann erwartet. Immerhin gewöhnte sie sich allmählich an mich, zumal ich ihr und ihrer Freundin als Chauffeur zu ihren Terminen gute Dienste leistete. Wir drei gingen sogar in die Oper; leider gab es an dem Abend nur den "Idomeneo", und nicht zum Beispiel den "Figaro".
    Nach vier glücklichen Wochen für uns alle überreichte mir Herr von Sartori, Direktor bei Seat, zum Abschied ein Präsent, das er von
der Firma Benteler (Automobiltechnik) bekommen hatte, nämlich ein Portemonnaie aus echtem Leder. Ich benutze es heute noch.

    Für die Rückreise war ein Besuch von Aix-en-Provence fest eingeplant.
Das ist eine wunderbare Stadt, ich sah mir aber auch das Chateau Eguilles an, wo Casanova im Februar und März 1769 mehrmals den Marquis d'Argens traf. Dieser, Kammerherr und langjähriger Freund Friedrichs des Großen, war vor zwei Monaten auf Urlaub aus Berlin dort eingetroffen. Casanova beschreibt diesen liebenswürdigen Genussmenschen und Hypochonder ausführlich und sehr zutreffend (wie ich seit meinem 50. Geburtstag 1993 behaupten kann, denn zu dem schenkten mir meine Eltern das Manesse-Buch "Mein lieber Marquis!" mit dem Briefwechsel der beiden während des Siebenjährigen Krieges). D'Argens war nun wirklich krank, konnte zum Leidwesen des Alten Fritzes nicht mehr nach Berlin zurückkehren und starb bereits zwei Jahre nach seinen Zusammenkünften mit Casanova.
 
    Dann kam endlich Henriette an die Reihe. Auch ich wollte ihr Landhaus finden. Immerhin fand ich "La Croix d'Or" (Foto), die Abzweigung, die Casanova und Marcolina nahmen, um zu Henriettes "Chateau" zu kommen. Dann fotografierte ich irgendein nettes Landgut, von dem gleich wieder die Rede sein wird, fuhr nach Marseille, über die Autobahn nach Tortona, wo Casanova mit Henriette durchkam und ich nachts in meinem Auto ganz fürchterlich fror. Bei Sonnenschein und klarer Luft fuhr ich dann über den San Bernardino und die Via Mala zu meinen Eltern zurück.

    Das hübsche Landgut präsentierte ich als das höchstwahrscheinliche von Henriette in meinem Dia-Vortrag "Henriette, oder Das Geheimnis des Goldenen Kreuzes" am 29. Februar 1992. Die Aufmerksamkeit  meiner Gäste war beachtlich, zumal ich noch auf die Sitten und Gebräuche im 18. Jahrhundert einging und auch ein von Casanova zweifellos selbst betrachtetes Originalbild aus meiner gerade erstandenen antiken Ausgabe der "Académie des Dames" (Foto) zeigte.


                         
   
    Aber auch seriöse Themen fanden Zuspruch. Wie damals Reisewagen aussahen, und wie das System der Post mit ihren Stationen, die vor allem dem Wechseln der Pferde dienten, funktionierte. Wie viele Gasthäuser zur Post es noch immer gibt, und daß Casanova oft durch unsere Umgebung gereist ist, genauer, durch das Gebiet etwa innerhalb von Heidelberg, Frankfurt, Mainz und - Oggersheim. Bei der Erwähnung dieses Ortes brach das Publikum in Gelächter aus; jeder wußte ja, daß Bundeskanzler Helmut Kohl aus diesem Dorf stammte und diesen Wohnsitz auch hartnäckig beibehielt. Ob man Genaueres über die Abstammung von Kohl wisse? Könnte da Casanova seine Hände im Spiel gehabt haben? Ich bin sicher, daß jeder Anwesende Oggersheim als bedeutende Poststraßenkreuzung heute noch im Gedächtnis hat.


IV. WIEN

Ich spiele Orgel bei einer Hochzeit. In Dux bietet mir eine Frau ihre Remise an.
Napoleons Sieg bei Austerlitz. Mit einem Krug muß ich selbst Rotwein
aus dem Keller holen. Ausflug mit einer Dame aus Südtirol nach Pressburg.
Miete eines Segelbootes.


    Von allen Posthäusern finde ich das in Radicofani am schönsten und faszinierendsten. Und so kam ich dahin. Ich berichte weiter ganz im Stile von Casanova, indem ich keine Gelegenheit auslasse, mich mit der Bekanntschaft bedeutender Persönlichkeiten, insbesondere des Adels, zu schmücken.
    Meine Ziele der nun folgenden Reise lagen zunächst garnicht in Italien, sondern waren Dresden, Dux, Prag und vor allem Wien. Zunächst meldetete ich mich in Frankfurt bei Karin Freifrau von Göler zu Ravensburg an. Sie und ihr Mann Peter Thomas (die beiden rechts auf dem Foto, auf meiner Abitur-Party 1970) bewohnten in ihrem vom Krieg völlig verschonten Haus gegenüber der Paulskirche, dort, wo es zum Römerplatz hineingeht, eine ganze Etage, möbliert vorwiegend im Stil Louis XVI, atmosphärisch also passend zu Casanova.



Karin hatte bei einem Faschingsball im Hause Evi Schöfer meinen Freund Peter, Jurastudent und Pianist, kennengelernt und bald darauf geheiratet. Die Feier fand in ihrem Schloß in Schatthausen statt. Nach gegebenem Ja-Wort spielte ich das Thema der Goldberg-Variationen von Bach auf der Orgel. Ich übernachtete manchmal bei Ihnen, denn in Frankfurt ist auch das Deutsche Postmuseum. Sie interessierten sich sehr für meinen Casanova. 1992 schenkte mir Peter seinen PC vom Jahr davor; für mich war das der erste Computer, und natürlich prima für das Schreiben des geplanten Buchs.

    Am nächsten Tag fuhr ich über Eisenach nach Dresden. Dort hatte man gerade damit begonnen, die Frauenkirche wieder aufzubauen. Der Baudirektor, Eberhard Burger, zeigte mir auch den gerade freigelegten Altar, der noch einigermaßen erhalten war. Jemand hatte bereits eine Blume auf eine verkohlte Holzdiele des Altarbodens gelegt (Foto). Dreizehn Jahre später war ich dann in der fertigen Frauenkirche. Ich übernachtete im Posthaus von Pirna-Zehista, auf dem Weg nach Teplitz, den Casanova so oft genommen hatte.



    In Dux besichtigte ich das Schloß und übernachtete bei einer Frau, die ich abends im Bistro gegenüber kennen gelernt hatte, denn sie konnte mir eine abschließbare Garage für mein Auto anbieten.
    Prag sah ich mir nur flüchtig an, aber nicht versäumen wollte ich den Anblick des Opernhauses, in dem der Don Giovanni uraufgeführt wurde, dessen Libretto ja bekanntlich von Casanova höchstselbst mitgestaltet wurde. Gefühlsmäßig sehr authentisch wie im 18. Jahrhundert war die Straße nach Wien, denn sie war schmal und es war eben noch nicht so viel Neues in den Ortschaften gebaut worden. Ich dachte auch an Mörikes entzückende Novelle, die Mozarts und seiner Frau Reise nach Prag im eigenen Wagen schildert.

    An Wien gefiel mir am Besten, daß ich dort unverzüglich zum Professor, gelegentlich auch zum Doktor, befördert wurde. Das geschah bereits im Kunsthistorischen Museum, wo ich bei Hofrat Dr. Georg J. Kugler angemeldet war. Dieser hatte nicht nur als Wagenforscher publiziert, sondern war auch Direktor der "Wagenburg" im Schloß Schönbrunn, also des Museums der Leib- und Hofwagen der Habsburger Kaiser. Ich überreichte ihm mein Buch, es hieß damals noch "Casanovas Reisen".
    Hofrat Kugler lernte ich kennen als Mitherausgeber und Co-Autor des bedeutenden Buches "Achse, Rad und Wagen". Sein Beitrag trug den Titel: "Die Kutsche vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Auftreten des Automobils". Darin war auch ein Foto der "Lister Chaise" in Halifax, also des Wagentyps, den ich dann bald als Casanovas "voiture anglaise" eindeutig identifizieren konnte. Herr Kugler befasste sich aber in seinem Artikel weder mit diesem Wagen noch mit den Post Chaisen und Post Chariots näher; er sah ihre Bedeutung nicht so wie ich es auf Grund eben auch von Casanovas Mitteilungen tat. Er schätzte es, daß ich mich der "Wagen des alltäglichen Gebrauchs" so intensiv angenommen hatte. Es geschah sogar noch mehr.
    Beeindruckt von Casanovas "Histoire de ma Vie" als authentische Quelle für die Kutschenforschung, bat Dr. Kugler mich, die mittlerweile vergriffene Brockhaus-Plon Gesamtausgabe antiquarisch zu besorgen, ich bekäme dann sofort den dafür notwendigen Betrag erstattet. Das erledigte ich umgehend. Die Memoiren stehen nun im weltberühmten KHM in Wien, weil der Direktor der Wagenburg sie für seine Bibliothek für unverzichtbar hielt.
    Dann, bei einem weiteren Besuch bei Hofrat Kugler, fragte ich ihn, ob man nicht eine Ausstellung mit den noch in Europa vorhandenen bedeutenden Reisewagen des 18. Jahrhunderts - fast alle waren Post Chariots - veranstalten könne. Zu meiner Verblüffung nahm er den Plan auf, und schrieb bald an alle seine Kollegen der Museen, die in Frage kamen, und bat um Ausleihe der von uns ausgesuchten Exponate. Die Ausstellung nahm immer mehr Gestalt an und sollte 1998, passend zum Casanova-Jahr, stattfinden. Aber ausgerechnet das Shibden Hall Museum in Halifax wollte ihre "Lister Chaise" - sie sollte als
Glanzstück der Ausstellung im Mittelpunkt stehen - nicht verschicken, denn sie könne als nationales Kulturgut ersten Ranges keinem Risiko ausgesetzt werden. Ohne diesen Wagen, sozusagen "Casanovas Wagen", wurde die Ausstellung von Hofrat Kugler als nicht mehr so richtig lohnend betrachtet und abgesagt.



    Ich überreichte ihm also mein Handbuch. Dann fuhren wir zur "Wagenburg" von Schloß Schönbrunn (Foto; meine Charlotte ist die Ente rechts). Nach Besichtigung des Museums gingen wir weiter in das Depot und die Restaurierungswerkstätten; von all dem Interessanten, was es da auch noch zu sehen gab, erwähne ich nur, daß ich die Kalesche untersuchen und anfassen durfte, in der Napoleon zur Schlacht von Austerlitz fuhr. Während der Kämpfe ritt er natürlich auf seinem Pferd, und nach dem für ihn siegreichen Ausgang der Schlacht meldete man ihm die starken Beschädigungen seines Wagens, er gab ihn auf, und so kamen die Österreicher in den Besitz dieser Trophäe.

    Wieder zurückgekehrt, begleitete mich der Hofrat noch durch einige Abteilungen des Kunsthistorischen Museums. Dann stellte er mich als Professor Pablo Günther seiner designierten Nachfolgerin, Dr. (der Kunstgeschichte) Monica Kurzel-Runtscheiner, vor. Dank ihres Buches über die Hetären im Rom der Renaissance erfuhr ich von Michel de Montaignes Reisetagebuch; eine große Entdeckung für mich. Ich versichere hier, daß ich bis heute keine umfassenderen, authentischeren Quellen für das Reisen kenne, als das "Journal de voyage" und die "Histoire de ma Vie".



    Evi Schöfer hatte mich zu Annunziata und Wolfgang von Lutterotti-Diebler (Foto) geschickt. Sie hatten zwei Kinder um die zehn Jahre herum und wohnten in Perchtoldsdorf, an Wien grenzend, Richtung Wienerwald. Eine gute Wahl. Annunziata stammt aus Südtirol; diese Ausrichtung nach Italien kam mir vielversprechend vor. Ihre Mutter und Freundin Evis seit ihren Zeiten in Meran, Theres von Lutterotti, aus Kaltern und Cles, lernte ich auch kennen. Auf ihren Vorschlag hin fuhren wir gemeinsam nach Pressburg, denn meine Erzählung von Casanovas Aufenthalten in Wien und seine Fahrt dorthin regte sie dazu an.

    An dieser Stelle möchte ich einmal den Nicht-Casanovisten mitteilen, daß die nähere Beschäftigung mit Casanova, wenn man kein Dummkopf ist, einem überall Tür und Tor öffnen kann. Mir scheint, Casanova wurde inzwischen zu einem Sympathieträger ersten Ranges.
 
    Zwei Jahre später übernachtete ich auf dem Weg nach Venedig in ihrem Haus in Cles, ich komme hier noch darauf zurück. Bei Dieblers blieb ich einige Tage. Mit der Tram fuhr ich täglich nach Wien. Es war Ostern und ich ging in die Kirche. Ich hatte ein schönes Zimmer und im Keller war ein Fass mit süffigem südtiroler Rotwein. Da herrschte auf einmal Aufregung im Haus. Herr Diebler wollte mit einigen Freunden nach Gaeta fahren, dort hatten sie ein Segelboot gemietet, die Person für die Rückführung des Wagens war ausgefallen,
der Termin sei nicht zu ändern, man müsse heute Nacht noch losfahren...


V.  LA VILLA MEDICEA DELLA POSTA

Ignorante Reisebuchschreiber. Ich werde zwecks Sonne- und Badekur  
nach Sizilien geschickt.
Freundliche Wirtsleute in Rom.
In Brindisi besorgt mir ein tüchtiger Agent ein Schiffsticket.

Krankheitsausbruch in Viterbo und Genesung in Bolsena.

    Der Wagen war ein Chrysler Voyager (Foto, auf der Via Appia), mit Tempomat, und wir, fünf oder sechs Leute, wechselten uns mit dem Fahren ab. So fand ich mich unversehens am nächsten Mittag auf der von mir beschriebenen "Main Route of the Grand Tour" von London nach Neapel - über Radicofani - wieder. Herr Diebler gab mir Geld für das Benzin, und schon waren sie auf ihrem Boot. Sie wollten nach Norden segeln und der Wetterbericht war nicht gut. Ich aber passierte den Garigliano und fuhr erst mal bis zu der Stelle vor Francolise, wo Casanova überfallen wurde und sein Wagen umfiel.

    Autoren von Büchern über das damalige Reisen berichten, wie ich festgestellt habe, nur über schlechte Strassen, umfallende oder in Abgründe stürzende Kutschen und Raubüberfälle. Sie haben nämlich übersehen, daß damals wie heute niemand mitteilt, daß während der Reise nichts passiert ist, sondern eher dann berichtet, wenn etwas Unangenehmes vorgekommen ist.
    In hundert oder spätestens zweihundert Jahren werden die Nachfolger dieser Autoren erforscht haben, daß das Zeitalter des Automobils eine einzige Katastrophe war. Ständig stand man in Staus, war in Massenunfälle verwickelt, die Autos und LKWs wurden gestohlen oder ausgeraubt, die Abgase ihrer Motoren rafften die Stadtbewohner dahin, verursachten auch das Aussterben der Eisbären, und die ständig teurer werdenden Benzinpreise führten zu einer Verelendung der Autofahrer. Das gehe eindeutig aus Aufzeichnungen der Fernsehnachrichten hervor.
    Die Überfälle bei Francolise und Köln waren in Casanovas langem Reiseleben die einzigen, das ist sicher, denn über einen weiteren Raubüberfall zu berichten hätte sich der erzählfreudige Casanova nicht entgehen lassen.



    Ich fand in Terracina ein nettes kleines Hotel direkt am Meer. Es war eine außerordentlich stürmische und regnerische Nacht, und ich erfuhr später, daß die Segler in ernsthaften Schwierigkeiten waren, gerade hier, vor der Landspitze. Am nächsten Tag fuhr ich nach Priverno, das Casanova natürlich noch als Piperno bezeichnete, denn der Ort wechselte erst viel später seinen Namen. Ich genoß die weitere Fahrt auf der Via Appia bis Rom. In Rom war ich erst ein Mal, 1970, auf meiner Fahrt mit der Eisenbahn nach Taormina.

    In diesem Jahr diagnostizierte ein Hautarzt nämlich Psoriasis bei mir und riet mir zu einem längeren Aufenthalt am Toten Meer oder in Sizilien. Ich entschied mich für Italien und ging zu Evi Schöfer. Die rief sogleich das Hotel Villa Schuler in Taormina an, gab mir bald den Hörer und ich vernahm von Herrn Schuler, ich könne während der Schulferien seiner beiden Söhne kommen und so lange, wie ich wolle, bleiben, wenn ich ihnen täglich eine Stunde Deutschunterricht geben würde; dafür bekäme ich im Hotel ein Zimmer mit Frühstück. Bald nach meiner Ankunft begab ich mich in ein nahes Antiquitätengeschäft am Corso Umberto, um der Inhaberin, Frau Daneu, Grüße von Evi auszurichten. Neben ihr stand Tochter Adriana. Zusammen gingen wir an den Strand oder spielten Schach auf der Dachterrasse ihrer Villa hoch über der Stadt. Die Aussicht von dort hielt ich mittels einer Tuschezeichnung fest (Foto).



    Auch in Catania sollte ich Grüße ausrichten. In ihrem Palazzo klagte die hochbetagte Marquesa mir ihren Kummer mit ihrer Verwandtschaft; kürzlich habe sie sogar eine Giftschlange in ihrem Bett vorgefunden. Von Catania aus flog ich nach sechs schönen Wochen und von meiner Krankheit ziemlich geheilt zurück nach Rom in einer alten, klapprigen Caravelle, die außer mir auch noch Bauern mit Hühnern und anderen Produkten transportierte.
  

    Seit dem habe ich ja viel über das Reisen gelernt und auch, wie sehr die Italiener an die Touristen seit tausend Jahren gewöhnt sind und mit ihnen umgehen können. Heute erscheint daher in neuem Licht, was mir damals passierte, als ich die Stazione Termini verließ. Kaum stand ich mit meinem Koffer auf dem Platz davor, als mich ein Herr ansprach. Ob ich ein Zimmer suche? Er hätte eines für mich, ganz in der Nähe,
in seiner Wohnung, es koste nur soundso viele Lire, ob ich es ansehen wolle? Ich überlegte kaum und stimmte zu. Er ließ es sich nicht nehmen, meinen Koffer zu tragen. Alles, was er mir gesagt hatte, erwies sich als richtig, eine freundliche Familie empfing mich, das Zimmer war klein, aber sehr ordentlich, und ich sparte Geld. Ich bekam einen Hausschlüssel und ging in die Stadt.

    Eine ebenso gute Erfahrung hatte ich 1983 im Hafen von Brindisi gemacht. Ich war da auf dem Weg nach Saloniki, um eine gute alte Freundin, Myrto Kyriazi, zu besuchen. Sie ist oben auf dem Foto mit Evi Schöfer zu sehen. Evi stammte aus einer Dresdener Familie, sie hatten ein Haus im "Weißen Hirsch", wie auch die Kyriazis, Griechische Tabakdynastie. Einer von ihnen heiratete eine Freundin Evis, Myrtos Mutter. Heute ist mir diese Reise besonders wertvoll, denn so kam ich immerhin schon fast bis nach Konstantinopel. Nun, ich stand im Hafen von Brindisi und schaute mich um, wo es die Tickets für die Fähre gab, da sprach mich ein Herr an. Er fragte mich, ob er mir den Fahrschein nach Igoumenitsa besorgen dürfe, diese Tätigkeit als Vermittler sei sein Beruf. Ich gab ihm das verlangte Geld. Er erkundigte sich nach meinem Hotel, um mir in zwei Stunden das Ticket zu bringen. Tatsächlich kam ich gerade aus demselben, denn ich wollte eigentlich hier übernachten. In mein Zimmer zurückgekehrt, fragte ich mich, ob der gute Mann wirklich kommen würde. Ich hatte keine Ahnung, wer er war. Warum hatte ich mir bloß den Fahrschein nicht ganz normal besorgt? Heute denke ich an Casanova, als ihm in Lerici das Gleiche geschah, aber da war der "Fahrscheinverkäufer" ein Betrüger. Jetzt aber stimmte alles, der Vermittler brachte mir pünktlich die Fahrscheine für mich und meinen Wagen.

    In Rom parkte ich am Tiber, holte mir ein Sandwich und verzehrte es im Auto, während ich hinüber zum Petersdom schaute. Dann ging ich in eine Telefonzelle und rief den Casanovisten Furio Luccichenti an. Wo ich sei und wo wir uns treffen sollten, fragte er, ich schlug die Piazza del Popolo vor, denn ich wolle dann gleich weiterfahren; er nannte mir ein Café dort.

    Nach dieser anregenden Begegnung ging es dann auf der Via Cassia weiter in Richtung Florenz. Ich fühlte mich erkältet. In Viterbo kaufte ich in einer Apotheke Aspirin. Am Lago di Bolsena suchte ich ein schönes Plätzchen, um im Auto zu übernachten, ich fühlte mich aber immer fiebriger und fuhr nach Bolsena in das nächst beste Hotel. Dort kümmerte man sich rührend um mich mit Erkältungstee und heißer Kraftbrühe, ich nahm ein Bad, schwitzte im Bett und schlief gut, denn guten Rotwein hatte ich auch bekommen. Am nächsten Morgen war ich wieder fit und fuhr schnurstracks nach Radicofani.



    Das Posthaus in Radicofani fasziniert mich aus vielen Gründen. Die freistehende Höhenlage, die zwei übereinander liegenden Loggien, die strenge Architektur, das Alter, die häufigen Erwähnungen in Reiseberichten, eben auch von Casanova, der mindestens sechs mal dort abgestiegen ist und dort auch einiges erlebt hat, man denke nur an das Abenteuer mit Betty. Ich machte Fotos und fuhr dann hoch in den Ort, um mich zu erkundigen, ob das Haus vielleicht zu besichtigigen wäre. Ich erfuhr, daß jemand einen Schlüssel hat, aber nicht da sei. Und weiter, das Haus sei in Privatbesitz und über eine künftige Verwendung wisse man nichts. Zwei Jahre später war ich mit den niederländischen Filmleuten wieder dort, und jetzt sehe ich im Internet Bilder von 2011, das Gebäude steht immer noch tadellos da. Auf der Homepage der Gemeinde (das Foto stammt auch von dort) kann man lesen:
    "(...) Venne usata come Stazione di Posta e cambio cavalli fino la fine del 1800, quando divenne dimora privata della famiglia Bologna. Nominata per secoli come "Osteria Grossa" ha ospitato moltissimi personaggi importanti tra i quali: i Papi Pio VI e Pio VII, i Granduchi Ferdinando I, Cosimo II, Leopoldo II, il scrittore Thomas Gray, l'imperatore Giuseppe II d'Austria, William Beckford, il gran maresciallo svedese Axel von Heels, Giacomo Casanova, il marquese de Sade, Stendhal, Francois René de Chateaubriand, John Ruskin, Charles Dickens ed altri".

    Für einen Rundgang in Siena hatte ich gerade noch Zeit, aber dann fuhr ich durch bis Wien, denn Frau Diebler brauchte ja den Wagen.  Zurück nach Lindau nahm ich die Poststraße bis München über Melk und Linz, wie Casanova 1767 in seinem Coupé aus Warschau. Eine Poststation gab es auf dieser Strecke auch in Braunau am Inn, Geburtsort Adolf Hitlers, und gleich die nächste war in Marktl, Geburtsort vom deutschen Papst Benedikt XVI., aber das muß man nun wirklich nicht wissen.


VI. ENGLAND

Mit Goethe in Valmy. Winzige Bistro-Gläser nötigen mich zu ständigen
Nachbestellungen. Ausweisung aus London.
In Soho traf ich Miss Judith leider nicht.
Beim Trampen nimmt mich ein reicher Engländer mit. Zweigeteilte Türen wie an Miss Marples Haus.
Ich überführe einen Mercedes und seine amerikanischen Käufer nach Rotterdam.

    1993, am 15. Mai, fuhr ich los in Richtung England, um mir die bereits erwähnte Lister Chaise anzusehen. Evi Schöfer brauchte ich für diese Reise nicht nach Kontakten zu fragen, denn ich wollte unterwegs viel im Wagen schlafen, auch Bed and Breakfast benutzen, und Kontakte hatte ich selbst: die Casanovisten Robert Goodwin in Taynton bei Oxford, Gillian Rees in Eastbourne und auf der Rückfahrt Marco Leeflang in Utrecht. Zunächst folgte ich Goethes Spuren: ich fuhr nach Valmy, wo die Preußen 1792 von der Revolutionsarmee vernichtend geschlagen wurden. Übrigens, ich kam auf meinen Poststraßen-Reisen auch nach Waterloo, ebenfalls ein Ort, den ich schon lange einmal sehen wollte. Über Paris, Amiens und Abbéville kam ich dann in Calais an, um mit der Fähre nach Dover überzusetzen, wie Casanova.
 
    Auf den Post-/Nationalstrassen Frankreichs fühlt man sich besonders gut in die alten Zeiten versetzt: Der weite Raum, die alten Dörfer und Städte. Dazu gehört auch, daß die Franzosen im Bistro immer noch ihren Rouge in einem winzigen Glas vorgesetzt bekommen, so daß ich ständig nachbestellen mußte, um endlich auf mein erstes Viertel zu kommen. Schon Montaigne beobachtete die große Trinkfreudigkeit der Deutschen. Das ist aber ein Mißverständnis: Am Ende des Tages haben alle gleich viel getrunken.

    Angesichts des Umstands, daß Casanovas Aufenthalt in England 1763/64 der Höhepunkt seines Lebens als Abenteurer war, berichte ich nun kurz über meine zuvor erlebten drei Begegnungen mit diesem Land und seinen Leuten.
    Casanova wurde oft aus einer Stadt, einem Land ausgewiesen. Auch mir ist das passiert, und zwar 1968 auf dem Flughafen in London. Auf die Frage nach dem Zweck meiner Einreise antwortete ich wahrheitsgemäß, ich käme als Tourist und wolle nach Blackpool, um einen Freund zu besuchen, und gab dem Beamten einen Brief von ihm. Daß ich auch ein bißchen jobben wollte, verschwieg ich. Der Beamte rief den Freund an. Daraufhin wurde ich umgehend in das nächste Flugzeug zurück nach Frankfurt gesetzt. Das war mitten in der Nacht, und ich wunderte mich, daß ich auf dem kurzen Flug ein Kotelett mit Kartoffeln und Bohnen serviert bekam.

    1961 mußte ich zu Beginn der Sommerferien zwei Wochen auf dem Bau arbeiten. Eine Dame aus London hatte ihre Ferien bei uns verbracht, dann meine Mutter bei ihr, und ich durfte dann auch noch kommen, wozu ich mir das Geld selbst verdienen sollte. Meine Wirtsleute im Süden Londons wußten, daß ich damals Jazztrompeter war, und wunderten sich daher nicht, daß ich fast jeden Abend in Soho und sonst wo die Jazzclubs besuchte. "Hast du denn auch ein Mädchen kennengelernt?" fragte man mich einmal. "Ja, schon", antwortete ich etwas unsicher. "Aha, und wie heißt sie denn?" Ich dachte kurz über einen Namen nach - mein Prestige stand auf dem Spiel - und antwortete: "Judith". Schallendes Gelächter. "So heißen sie alle!" Bis heute kenne ich den Grund dieses spontanen Heiterkeitsausbruchs nicht; vielleicht kann mir das einmal jemand erklären.
 

    Das erste Mal in England war ich 1957, zusammen mit meiner Jugendgruppe unserer Heidelberger Kirchengemeinde, und zwar auf Einladung von Colin O'H, englischer Börsenmakler. Er sah fast so aus wie der Schauspieler Alec Guinness, den ich damals schon von einigen Filmen kannte, wie "Adel verpflichtet".
    Zu Pfingsten 1957 wollte meine Gruppe in ein Lager bei Offenburg im Schwarzwald trampen. Wir trampten für gewöhnlich zu zweit, und da standen wir nun an der Einfahrt zur Autobahn nach Karlsruhe. Da hielt ein silberfarbenes Sportwagen-Cabrio an. Wohin wir wollten, fragte der Fahrer und sagte dann, er könne nur einen mitnehmen, dabei auf mich deutend. Das war völlig korrekt, denn sein Auto war ein Jaguar XK 140, zweisitzig, mit Klappverdeck, sogar mit zweigeteilter Frontscheibe (wie Casanovas englische Wagen). Ich quetschte mich auf den Sitz, nachdem ich mich mit meinem Kameraden verständigt hatte.

    Mister O'H gab Gas und sagte, er mache Ferien und wolle nach Baden-Baden in die Spielbank, würde mich aber gerne weiterfahren zu meinem Lager. Dort angekommen schlug er vor, mich am nächsten Tag zwecks eines kleinen Ausflugs abzuholen. Ich fragte meinen Chef, der hatte nichts dagegen, denn Colin, wie wir ihn bald nannten, machte einen sehr sympathischen Eindruck. 
    Er besuchte uns noch zwei Mal und lud uns dann alle ein, die Sommerferien auf einem Bauernhof im Lake District zu verbringen, er würde alle Kosten, auch der Reise, übernehmen. Unsere Eltern erlaubten es schließlich, nach einigen Beratungen und Erkundigungen. Wir lernten noch London, Edinburgh und einiges mehr kennen.

    Jetzt aber zurück zu meinem vierten Betreten englischen Bodens 1993 als Casanovist. Ich schlief mich erst mal in Lydden, dritte Poststation, in meinem Wagen aus, denn mein "packet-boat" war nachts unterwegs gewesen. Sodann fuhr ich direkt zum Victoria & Albert Museum, fand daneben einen Parkplatz (Foto, aufgenommen durch das offene Wagendach) und ging hinein. Ich fragte, ob vielleicht Bilder über Kutschen des 18. Jahrhunderts, egal welcher Art, da wären, und nach kurzer Zeit stellte man mir einen Pappkarton hin, in dem zwanzig oder dreißig Blätter waren, darunter einige für mich hochinteressante, die ich auch ohne Weiteres fotografieren durfte. Also ein voller Erfolg. Anschließend fand ich im daneben liegenden National Science Museum Automobile, deren Aufbau sich noch nach den Post Chariots ausrichtete, einschließlich der charakteristischen geteilten Frontscheibe.



    Über die Autobahn fuhr ich dann nach Nottingham zum Wollaton Park Industrial Museum, betrachtete den wohl ältesten noch vorhandenen Landauer und fand noch andere bemerkenswerte Wagen.
   
    Endlich war ich in Halifax und im volkskundlichen Museum Shibden Hall, ehemaliges Landgut der Familie Lister und nun im Besitz des National Trust. Die Kuratorin, Rosalind Westwood, zeigte sich hocherfreut über mein Interesse an der Lister Chaise, die eher ein Dasein als Aschenputtel führte, denn auch hier kannte wohl kaum jemand ihre überragende Bedeutung für die Entwicklung des Reisewagens. Sie war auch so ausgestellt, daß ich keine gute Totale aufnehmen konnte, sondern nur zahlreiche Details, aber sie übergab mir dieses Foto:



Dieser Wagentyp wurde Post Chaise genannt, weil "Post" Pferdewechsel bedeutet, und "Chaise" meint in diesem Fall einen zweisitzigen Wagen ohne Kutscherbock; mit einem solchen und eventuell weiterer Ausstattung wäre er als ein Posting / Travelling Chariot, oder kurz Post Chariot, bezeichnet worden, und diese englischen Wagen hatte Casanova. Als er sie zwei Mal von jeweils einem Engländer kaufte, haben sie vielleicht Latein gesprochen und es war wahrscheinlich dann einfach von einem "currus britannicus" die Rede.

    Am nächsten Tag fuhr ich über Coventry nach Taynton zu Mr & Mrs Robert Goodwin. Erfreut stellte ich fest, daß man auf dem Land wie bei Goodwins immer noch so wohnt, wie ich es in den Miss Marple - Filmen mit Margret Rutherford gesehen habe. Man betritt das Haus durch eine in der Mitte zweigeteilte Tür, so daß man bei Bedarf nur den oberen Teil aufmachen kann. Auch ist man dann praktischerweise sofort in der Wohnküche. Ganz mein Wohnideal. Herrlich altmodisch war auch meine Bed & Breakfast - Unterkunft. In dem zweigeschossigen Haus hatte ich in der Bel Etage ein großes Zimmer, mit schweren, dunklen Vorhängen, einem Waschtisch mit Schüssel und Kanne aus Porzellan, elektrischen Leitungen an den Wänden und einem riesigen, eisernen Bett, über das ein Perserteppich ausgebreitet war.
   
    Es ging dann weiter über Stonehenge und Southhampton nach Eastbourne zu Gillian Rees, die mir ihr Gästezimmer anbot. Tags darauf machten wir in meinem Wagen einen schönen Ausflug zu dem Museum von Maidstone, in dem auch ein Post Chariot sein sollte. Es war aber ein gewaltiger, protziger Stadtwagen und nicht das, was ich suchte. Dafür habe ich von Gillian sehr viel über Casanovas Aufenthalt in London erfahren. Zwei Jahre später besuchte sie mich bei meinen Eltern, um die englische Ausgabe der "Casanova Tour" zu korrigieren.

    In Holland war ich erst ein Mal, 1966, und eher nur durchfahrend, dafür aber mit einem tollen Reisewagen. Die studentische Arbeitsvermittlung bot mir einen Job an: Auto samt älterem amerikanischem Ehepaar nach Rotterdam überführen. Damals war nämlich der neue Mercedes 220 herausgekommen, der mit der geraden, langgestreckten Linie und den hohen Fenstern, und das Paar war extra aus den USA hergekommen, um ihn in Empfang zu nehmen. Sie wollten sich Holland ein bißchen ansehen und ich sollte sie erst mal nach Amsterdam fahren, und anschließend noch weiter nödlich nach Hoorn. Dort gingen wir in ein Hotel und die reizenden Leutchen sagten mir unaufgefordert, ich könne ruhig den Wagen behalten und heute Abend damit herumfahren. Ich war sprachlos, fasste mich aber schnell und bedankte mich herzlich. Sie wußten ja überhaupt nicht, wer ich war! Ich hätte mit dem Wagen abhauen können, ihn verkaufen... Ich fuhr aber in der Stadt nur ein Paar Kneipen an. In Rotterdam haben sie mich fürstlich entlohnt.

    Zurück auf dem Kontinent interessierte ich mich für Dünkirchen, wo Casanova die französische Flotte undercover auf ihre Invasionstauglichkeit Englands erfolgreich inspiziert hatte. Zielstrebig fuhr ich dann nach Utrecht, wo ich verabredungsgemäß dann bei Marco und Janna Leeflang vor der Tür stand. Ich wurde herzlich empfangen, bekam ein schönes Zimmer und konnte Holland nun viel besser kennen lernen als vor 27 Jahren.


VII.  VENEDIG

Ich kaufe mir ein interessantes Taschenbuch. Meine Besuche in Venedig.
Ich beginne eine Laufbahn
als Antiquitätenhändler. In einem holländischen Film
spiele ich eine bedeutende Rolle. Das Land
Baden-Württemberg
kauft mir ein unersetzlich wertvolles Kulturgut ab.


    Jeder Mensch hört irgendwann einmal den Namen "Casanova" und stets im Zusammenhang mit der Verführung schöner Frauen. Einige wollen mehr über ihn wissen und besorgen sich seine ebenfalls legendären "Memoiren". Das machte auch ich im Jahre 1973, es war ein Goldmann - Taschenbuch. Die Lektüre regte mich auch dazu an, endlich einmal Venedig zu sehen. Im Sommer 1975 fuhr ich mit dem VW-Käfer meiner Eltern hin. Ich sah mich nach einem Hotel um und fand das "Bel Sito", nicht weit vom Markusplatz entfernt. Als ich dann zwanzig Jahre später wieder in Venedig war, ging ich in das gleiche Hotel und traf dort die bereits erwähnte Barbara Ruhl, die auch vorzugsweise im "Bel Sito" abstieg. Es wohnten sogar noch mehr Casanovisten dort, denn wir trafen uns zur Vorbereitung einer Casanova - Ausstellung im Gedenkjahr 1998.

    Nach einem halben Jahr, am 2. März 1996, kamen wir wieder zusammen. Gastgeber für die Versammlungen war erneut Herr Bagnasco in seinem Palazzo gegenüber der Kirche Santa Maria della Salute, und natürlich wohnte auch ich wieder im nahe gelegenen "Bel Sito". Dem Hotel gegenüber ist die Kirche Santa Maria del Giglio. Ich ging einmal links an ihr vorbei, dann gleich über ein Brückchen, das zum Campiello Feltrina führt. Die wenigen Brückenstufen herabgehend nahm ich links in dem Schaufenster eines Antiquitätenladens etwas Interessantes wahr. Ich ging näher ran und sah ein recht großes Modell einer vierrädrigen Berlinen-Chaise, mit zwei davor gespannten Pferden (Foto).




    Ich mußte gleich an Casanovas "calèche" in Pasiano denken. Mehrere Merkmale führten zu einer Datierung "um 1750" und ich erkannte den hohen Wert eines solchen Modells. Ich wußte nämlich, daß Hermès in Paris 50 000 DM für eine vergleichbare Kutsche bezahlt hatte, allein schon wegen des alten Leders. Der Antiquitätenhändler hier wußte das freilich nicht (sonst wäre ja die Chaise nicht mehr im Schaufenster gewesen), aber was wird er wohl verlangen? Ich konnte es nicht erfahren, die Tür war verschlossen und auf einem Zettel stand der Name,
Giuseppe Patitucci, und die Telefonnummer für Terminvereinbarungen. Ich versuchte ihn zu erreichen, aber vergeblich. Später erfuhr ich, daß er meistens in New York war. Ich kümmerte mich nicht mehr darum, zumal ich ja auch für einen Ankauf eigentlich überhaupt kein Geld hatte, und weil allein schon meine Fotos von diesem Wagen ein großer Gewinn waren.

    Da rief mich zwei Monate später jemand aus Holland an. Man plane einen Fernsehfilm über Casanovisten; Marco Leeflang habe mich als Reisespezialisten für eine Mitwirkung empfohlen; ob ich am 12. Mai
mit meinem Deux Chevaux in Teplitz sein könne, um alles Weitere zu besprechen.
    Schneller als ich annahm ging es dann auf die Film-Tour; am 1. Juni trafen wir
uns in Grenoble in einem Hotelhochhaus, wir, das waren der Aufnahmeleiter, seine Assistentin, der Regisseur, der Kameramann, der Tonmann und ich. Ich sollte mit meiner Charlotte von einem Casanovisten zum anderen fahren, so einen roten Faden durch den Film spinnend, und auch mal die Interviews führen. Die Stimmung war gut, jedoch sank meine herab, als der Chef mir eröffnete, ich würde mit ihm das Zimmer teilen. Dann war da nur ein Doppelbett. Das ging entschieden zu weit. Ich hasse so etwas, so kann ich nicht schlafen. Aber in meiner Charlotte. Ich verabschiedete mich höflich und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter in die Tiefgarage.

    Dann aber (jeder bekam sein eigenes Hotelzimmer) war die dreiwöchige Fahrt mit den Filmleuten und den Casanovisten, die sich uns immer wieder für eine Zeit anschlossen, ein schönes Abenteuer. In Grenoble besuchten wir Marie-Francoise Luna. Dann waren die Drehorte: Genf, Aix-en-Provence, Chambéry, Mont-Cenis Pass, Novalesa, Radicofani, Rom, Padua, Venedig (Foto), Wien, Dux, Münchengrätz, und am Schluß besuchten wir Hartmut Scheible in seinem Haus in Mörfelden bei Frankfurt. Übrigens, er machte mir das schönste Kompliment als Casanovist. 1996 in Venedig sagte er: "Was Du da machst, das ist Schwarzbrot".



    Venedig. Als wir dort ankamen (wir wohnten im "Bel Sito") fiel mir die Chaise wieder ein, ich rannte zum Schaufenster - sie war noch da. Nun wollte ich es wissen. Glücklicherweise war Barbara Ruhl auch da, und ich erzählte ihr die Sachlage. Und siehe da, sie kannte Herrn Patitucci, bekam ihn nach mehreren Versuchen in New York an das Telefon und fragte, was er für das Modell da im Schaufenster haben wolle. Er antwortete: "Zwölf Millionen", also zwölf Tausend D-Mark. Das war freilich keine gute Nachricht. Wäre ich bei dem Gespräch dabei gewesen, hätte ich drei Millionen Lire geboten, und wir hätten uns vermutlich auf sechs geeinigt. So aber war wohl nichts mehr zu machen.

    Am 20. Juni war ich wieder bei mir zu Hause. Barbara hielt weiter den Kontakt mit Patitucci und teilte mir schließlich mit, ich könne ihn am 4. Juli in seinem Laden treffen. Inzwischen hatte ich mir die Hälfte des Kaufpreises, also sechstausend Mark, von einem guten alten Reiterfreund in bar geliehen; die andere Hälfte wollte ich mit einem noch ungedeckten Scheck bezahlen, der aber nach sechs Wochen eingelöst werden könne. In dieser Zeit wollte ich das Modell verkauft haben.

    Ich stellte mir den vermutlichen Hergang des Kaufes vor und kam zu dem Schluß, es wäre günstig, jemand dabei zu haben, der italienisch sprach, und bei dem ich vielleicht auch übernachten konnte. Nichts lag da näher als wieder einmal meiner alten Freundin Evi Schöfer einen Besuch abzustatten.
    Ich fuhr dann mit meiner Charlotte los, und zwar über Füssen und Bozen nach San Michele all' Adige, letzte Poststation vor Trient. Dort  bog ich rechts ab und fuhr in nördlicher Richtung die Berge hoch bis nach Cles, wo Judith von Lutterotti (mit ihrer Mutter Theres machte ich ja, wie erwähnt, den Ausflug von Wien nach Pressburg) mit ihrem kleinen Sohn Fabian und einer Schwester in einer entzückenden Villa wohnte.  Judith war ganz begeistert von meinen abenteuerlichen Plänen eines Antquitätenankaufs und bot mir gleich an, mich morgen nach Venedig zu fahren, und wolle mir auch gerne bei den Verhandlungen in italienischer Sprache helfen.

    Ihr Sohn war auch dabei und um die Mittagsstunde standen wir wie vereinbart vor dem Schaufenster am Campiello Feltrina. Wir warteten zwei Stunden; Judith telefonierte ab und zu, und wartete mit einer bewunderungswürdigen Gelassenheit ab, was da wohl noch geschehen würde. Dann war er da, Giuseppe Patitucci, und entschuldigte sich für seine Verspätung. Im Laden gab er mir auf eine schüchterne Anfrage hin Bescheid, am Preis sei nichts zu machen, den müsse er erzielen, sonst würde er nichts verdient haben. Darauf war ich natürlich gefasst und sagte, gut, ich bezahle so in bar, und so später. Erstaunlicherweise vertraute mir Herr Patitucci und war einverstanden. Er zerlegte das "Modellino", wie er es nannte - es war 75 cm lang! - in drei Teile, die er mit Seidenpapier sorgfältig umwickelte und in einen Karton, den er durch einen weiteren verlängern mußte, unterbrachte (Foto). Dabei fragte er uns, ob wir noch mitgehen wollten in seine Wohnung, dort könnten wir auch gut das Geschäftliche erledigen.



    Auf dem Weg dahin lud uns Herr Patitucci zu einem kleinen Mittagessen in sein Stammlokal am Canal Grande ein. Danach überquerten wir vier mit einigen anderen Leuten den Kanal in einer Gondel; wie üblich standen alle Pasagiere aufrecht darin, aber ich drückte sitzend in dem stark schaukelnden Gefährt mein Paket an mich.
    Patitucci bewohnte zwei Etagen voller Schränke, Regale, Tische, Möbel usw. Er zeigte uns alte Leicas, seine Spezialität. Dann holte er ein großes Rechnungsbuch hervor und zeigte mir den Eintrag des Modellinos: vor ca. einem Jahr gekauft, aus dem Nachlass eines Grafen aus der Umgebung, und er wies auf den Preis: sechs Millionen Lire. Auch ich habe dann nur verdoppelt, was ich bezahlt hatte, und ebenfalls bekommen. In bestem Einvernehmen und allgemeiner Zufriedenheit trennten wir uns.

    Ich übernachtete noch einmal bei den Lutterottis. Bevor ich losfuhr, bereitete ich meine kostbare Fracht auf eine eventuelle Zollkontrolle auf dem Brennerpaß vor. Es ist in Italien nämlich verboten, wertvolle Antiquitäten ausser Landes zu bringen. Ich holte das Modellino aus dem vielen Papier und dem Karton, tat Pferde und Vordergestell jeweils in eine Plastiktüte, breitete lässig ein Handtuch über die Chaise und legte alles gut sichtbar zu meinen Sachen; so konnte nichts passieren, denn wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich es als Kinderspielzeug abgetan. Ich wurde aber an der Grenze durchgewinkt.

    Ich komme nun zum Schluß des Abenteuers mit dem Modellino. Ich bot es Hermès an, bekam aber keine Antwort. Die Zeit drängte, also waren jetzt erst mal zwei Museen hierzulande an der Reihe, mit denen ich in Kontakt war, und beide wollten es haben. Ich wählte das Württembergische Landesmuseum, denn ich kannte den für Kutschen zuständigen Abteilungsleiter, Herrn Thomas Brune, durch seine Publikationen und Telefonate. Mein Freund, der mir das Geld geliehen hatte, Bernd Eggersgluess, fuhr mich und das Modellino, für das ich inzwischen einen schönen Holzkasten hatte bauen lassen, in das Alte Schloß in Stuttgart. Die Spannung war groß, denn ich hatte zwar eine klare Kaufabsicht, aber man müsse die Kutsche schon sehen und untersuchen. Das Modellino stand nun auf dem Tisch. Thomas Brune und der Direktor, Herr Himmelrein (auf dem Foto links) staunten nicht schlecht.




Dann kam noch der Chefrestaurator hinzu. Auch er war von dieser Rarität sehr angetan. Wenige Tage später war wieder Geld auf meinem Konto. Bernd gestand mir auf der Heimfahrt, er habe nicht wirklich geglaubt, daß das gut geht. Ich schon, sonst hätte ich das ja garnicht erst gemacht.

    Im Schloß von Heidenheim an der Brenz, das die volkskundliche Kutschensammlung des Württembergischen Landesmuseums beherbergt, wurde mein Modellino am 10. Mai 1998 der Öffentlichkeit vorgestellt, umrahmt von einer hübschen Dokumentation über das Reisen dazumals, die sich fast nur auf Material aus meinem Handbuch stützte und
in der Casanova damit im Mittelpunkt stand. 

    Mit diesem Buch ging es dann so weiter. Im nächsten Jahr, 1999,  schloß ich mich an das World Wide Web an, besorgte mir die Domain www.giacomo-casanova.de und veröffentlichte ein Jahr später mein Handbuch "Die / The Casanova Tour" im html-Format.
    Meiner Domain-Statistik zu Folge, werden die Seiten auf Englisch am meisten aufgerufen, allen voran "Mr Nugent's Rates of Exchange", allein im Januar 2019 rund 500 mal. Dann folgt Marco Leeflangs Beitrag "Casanova between Venice and Dux (1782-1785)", 200 mal; die Bibliographie der C.T., 80 mal; dann der Anfang von "The C. T.", 70 mal; dann mein neuer Artikel "Der Zufall in Philiosophie und Religion", 60 mal; weniger Aufrufe dann bei: Casanova Magazin, "Die C.T.", etc.

    Als ich die englische Ausgabe fabrizierte, wußte ich noch kaum etwas vom Internet. Der Antrieb dazu war nicht nur die Hoffnung auf eine größere Verbreitung, sondern auch
um die Briten in ihrer Sprache wissen zu lassen, daß sie nicht nur die Eisenbahn, sondern auch den ersten modernen Reisewagen erfunden haben. Hundertfünfzig Jahre später wurde dann der "motorcar" daraus. Wir Deutsche nennen ihn fälschlicherweise "Automobil", denn ein Motorwagen fährt nämlich ohne Benzin und Fahrer genauso wenig los wie ein Pferdewagen ohne Hafer und Kutscher.
    Im vorliegenden Fall brauchten nicht nur die deux chevaux Kraftstoff, sondern auch der Fahrer brauchte zum guten Steuern Kaffee, Camembert, Baguette und Vin rouge (Foto: Abendbrot im Wagen).

 

 
Ende

Dieser Artikel, leicht gekürzt, mit 4 Fotos, wird  auf Englisch im Oktober 2019 in CASANOVIANA 2 erscheinen.

Die Casanova Tour.

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